Was ist die Neurofibromatose Typ 1?

Die Neurofibromatose Typ 1 (NF1), auch Morbus Recklinghausen genannt, ist eine genetische, also eine erbliche Erkrankung, die sich bereits in der Kindheit manifestiert (bemerkbar macht) und verschiedene Organe in ganz unterschiedlicher Ausprägung involviert. Die NF1 ist eine Erkrankung, die eine abgestimmte Betreuung durch Ärzte verschiedener Fachrichtungen erforderlich macht. Charakteristisch für Menschen mit einer NF1 ist die Entwicklung von Tumoren, zumeist gutartigen Nervenscheidentumoren, sogenannten Neurofibromen, aber auch für bösartige Tumore ist das Risiko erhöht. Damit gehört die NF1 zu den Tumorprädispositionserkrankungen.

Wie wird die Diagnose Neurofibromatose Typ 1 gestellt?

Anhand der nachfolgenden Kriterien, die sich altersabhängig entwickeln, kann eine NF1 klinisch diagnostiziert werden. Es müssen mindestens zwei Kriterien erfüllt sein.

Diagnostische Kriterien für NF1

  • 6 oder mehr Café-au-lait-Flecken (CALF, unregelmäßig begrenzte milchkaffeefarbene Flecken im Hautniveau), der größte Durchmesser >5mm vor der Pubertät und >15 mm nach der Pubertät

  • 2 oder mehr Neurofibrome jeder Art oder ein plexiformes Neurofibrom (gutartige Nervenscheidetumore)

  • Freckling (sommersprossenartige Hautfaltensprenkelung axillär und/oder in der Leistenregion)

  • Sehbahntumor (Optikusgliom, Tumor entlang des Sehnerven)

  • 2 oder mehr Lischknötchen (gutartige Veränderungen auf der Regenbogenhaut)

  • Typische Knochenveränderungen (Keilbeinflügel-Dysplasie, Tibiapseudarthrose)

  • NF1-Betroffener in erstgradiger Verwandtschaft (Eltern, Kinder)

Bei alleinigem Vorliegen der NF1-typischen Hautmerkmale bleibt eine gewisse diagnostische Unsicherheit bestehen, die durch eine genetische Untersuchung behoben werden sollte.

Die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung von Neurofibromen der Haut (kleiner gutartiger Nervenscheidentumore) ist nahezu 100%. In welcher Anzahl und Größe sie entstehen werden, kann man nicht vorhersagen. Manchmal kann es passieren, dass sich ein vorbekanntes Neurofibrom plötzlich verändert, beginnt zu schmerzen oder schneller zu wachsen oder es fühlt sich anders an. Das bedarf dann einer weiteren Abklärung, z.B. durch eine Bildgebung und/oder Probeentnahme. Grund hierfür ist das Risiko, dass Neurofibrome entarten und daraus maligne periphere Nervenscheidentumore (MPNST) entstehen können.

Weitere klinische Merkmale

Die klinischen Symptome sind vielfältig und ihre Entwicklung ist altersabhängig. Nachfolgend sind neben den im Vordergrund stehenden Hauterscheinungen wie CALF und Neurofibrome (siehe Diagnosekriterien) weitere Befunde aufgelistet:

  • Makrozephalus (großer Kopf)

  • Kleinwuchs

  • Sogenannte nicht-ossifizierende Fibrome

  • Skoliose (Wirbelsäulenverkrümmung)

  • Osteoporose

  • Sogenanntes Vertebrales Scalloping

  • Rib Penciling (Ausdünnung der Rippen, sieht man im Röntgenbild)

  • Bluthochdruck

  • Blutgefäßveränderungen

  • Lernschwierigkeiten

Wie hoch ist das Krebsrisiko?

Obgleich für den einzelnen Patienten mit Neurofibromatose das Erkrankungsrisiko für Krebs im Alltag meist nicht im Vordergrund steht, so ist es doch im Vergleich zur Gesamtbevölkerung erhöht. Nachfolgende Tumore treten bei der NF1 vermehrt auf:

  • Die malignen peripheren Nervenscheidentumore (MPNST) entstehen meistens aus plexiformen oder tiefer gelegenen Neurofibromen, das Lebenszeitrisiko liegt zwischen 8-12%.

  • Bei den Sehbahntumoren, sogenannten Optikusgliomen, handelt sich um pilozytische Astrozytome, die nur bei Symptomen einer Behandlung bedürfen. Der Erkrankungsgipfel liegt zwischen 0-6 Jahren. Das Risiko für die Entwicklung eines Optikusglioms beträgt etwa 15%.

  • Hochgradige ZNS-Tumore (Hirnstammgliome) sind mit <1% selten, werden aber oftmals mit Optikusgliomem gemeinsam beobachtet.

  • JMML=Juvenile myelomonozytäre Leukämie. Dabei handelt es sich um eine besonders seltene Form der Leukämie, also Blutkrebs. Das Risiko für diese Erkrankung liegt bei 1:300.

  • Das Embryonale Rhabdomyosarkom (eRMS) ist ein Weichteiltumor, der zumeist im Urogenitalbereich auftritt. Das Erkrankungsalter liegt zwischen 0-5 Jahren und das Risiko ist <1%.

  • Für endokrine Tumore, das sind Phäochromozytome (Tumore des Nebennierenmarks), Karzinoid-Tumore oder medulläre Schilddrüsenkarzinome, liegt das Risiko bei <1%.

  • Glomus Tumore, das sind kleine schmerzhafte Knötchen an den Fingerspitzen.

  • Der gastrointestinale Stromatumor (GIST) ist ein bösartiger Tumor des Magen-Darm-Traktes. Das Risiko beträgt 2% für die Entstehung eines solchen Tumors.

  • Für Brustkrebs ist das Risiko 4-5 fach erhöht mit einem moderaten Lebenszeitrisiko von 20%.

Wodurch entsteht eine Neurofibromatose Typ 1?

Die Neurofibromatose ist eine genetische Erkrankung, die durch eine Mutation, also eine Veränderung im Erbgut, entsteht. Das betroffene Gen kodiert für Neurofibromin. Neurofibromin ist ein Eiweiß, das in der Tumorunterdrückung wichtig ist. Es wirkt der Entstehung von Tumoren entgegen. Durch das Fehlen von Neurofibromin wächst daher das Krebsrisiko an.

Die NF1 ist mit etwa 1 in 3000 Menschen die häufigste Neurofibromatose. Etwa die Hälfte der Erkrankungen wird vererbt und von den Eltern an ihre Kinder weitergegeben; der Erbgang ist dabei autosomal-dominant. Es gibt bei nahezu kompletter Penetranz, das heißt die Krankheit tritt sicher klinisch in Erscheinung, jedoch keine gute Genotyp-Phänotyp Korrelation. Das bedeutet, dass die Ausprägung der Erkrankung selbst innerhalb einer Familie mit der gleichen Mutation ganz unterschiedlich sein kann. Eine Vorhersage zur Erkrankungsschwere ist daher nicht möglich. Der anderen Hälfte der Erkrankungen liegt eine Spontan- oder Neumutation, man nennt das eine de novo Mutation, zu Grunde.

Zudem gibt es auch eine segmentale NF1, das heißt, die Erkrankung ist nur auf ein ganz bestimmtes Körperareal, z.B. ein Bein, begrenzt. Man spricht hier auch von einer Mosaik-Form der NF1. Die Mutation betrifft dann nicht alle, sondern nur einen Teil der Körperzellen, es gibt also gesunde und betroffene Zellen nebeneinander.

Eine genetische Untersuchung ist prinzipiell möglich und wird zur Diagnosesicherung empfohlen, insbesondere bei den Kindern, die ausschließlich mit den typischen Hautveränderungen auffallen. In 95% kann die Mutation bei klinisch gesicherter Diagnose gefunden werden. Wenn dies nicht der Fall ist, wird eine weitere genetische Abklärung auf das Vorliegen einer NF1-ähnlichen Erkrankung empfohlen.

Gibt es eine Therapie?

Die Therapie richtet sich nach den Symptomen. Wenn Beschwerden bestehen oder Komplikationen entstehen, werden diese behandelt. Bei Bestehen eines Optikusglioms, das einen Sehverlust und ein Heraustreten des Augapfels bedingt, muss eine Chemotherapie erwogen werden, von einer Bestrahlung sollte abgesehen werden. Aktuell findet eine neue Therapieoption mit sogenannten MEK-Inhibitoren (Selumetinib, Cobimetinib) für inoperable plexiforme Neurofibrome große Aufmerksamkeit, eine Medikamentenzulassung für diese Diagnose gibt es momentan in Deutschland jedoch noch nicht.

Bitte Fragen Sie Ihren behandelnden Arzt, ob es offene klinische Studien gibt, die für Sie in Betracht kämen.

Mein Kind hat eine Neurofibromatose Typ 1, wie geht es weiter?

Maßnahmen zur Früherkennung

Das Ziel ist das frühzeitige Erkennen sich entwickelnder Komplikationen, um möglichst optimale Behandlungsergebnisse zu erlangen. Dafür sind regelmäßige ärztliche Vorstellungen empfohlen:

Untersuchungsempfehlungen der AACR 2016

  • Bei Diagnose molekulargenetische Testung zur Sicherung oder Bestätigung der Diagnose

  • Jährliche klinische Kontrolle mit Anamnese und klinischer Untersuchung. Das Hauptaugenmerk liegt auf den Haut- und neurologischen Veränderungen, Blutdruckmessung (zum Ausschluss Nierenarterienstenose, Phäochromozytom) und Entwicklungsbeurteilung mit Größe, Gewicht und Pubertätsstadium.

  • Alle 6-12 Monate ergänzende augenärztliche Untersuchung bis zum 8. Lebensjahr (Visus, Gesichtsfelder, Pupillenreflexe, Fundus), danach 1-2 jährlich bis zum 20. Lebensjahr

  • Einmalige Untersuchung auf Farbsehen und Gesichtsfelder, sobald die Kindesentwicklung das erlaubt

  • OCT (optical coherence tomography) bei jeder augenärztlichen Untersuchung, wenn verfügbar

  • Bei Sehverlust im Screening und nach Ausschluss anderer Ursachen (Refraktionsfehler, Linsentrübung) ist eine Kontrolle nach 2 Wochen empfohlen, bei Befundbestätigung ist eine MRT gerechtfertigt.

  • Jährliche körperliche Untersuchung auf MPNST, das sind schnellwachsende und/oder schmerzhafte, nicht-dermale Neurofibrome, die zu neurologischen Defiziten und Funktionsverlust führen können und/oder Veränderungen in der Beschaffenheit zeigen

  • Bei Transition im jungen Erwachsenenalter (zwischen 16-20 Jahren) kann man eine Ganzkörper-MRT erwägen, da man um das höhere Risiko der Entwicklung von MPNST bei hoher interner Tumorlast weiß.

  • Patientenschulung im Hinblick auf ein 4-5-fach erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Brustkrebs, Angebot eines erweiterten Brust-Screening für Frauen im Alter von 30-50 Jahren

  • Im Erwachsenenalter jährliche Kontrolle mit Blutdruckmessung und Zugang zu allen Spezialambulanzen je nach gesundheitlichen Problemen

  • Keine Routine-MRT bei fehlenden Symptomen

Selbstfürsorge und Selbsthilfe

Worauf sollte ich besonders achten?

Das Risiko für die Entwicklung eines Sehbahntumors (Optikusglioms) ist im Alter von 3-4 Jahren am höchsten (0-6 Jahre). Es gibt typische Symptome, die Eltern bei zunehmender Sehschwäche ihres Kindes bemerken können. Das sind:

  • Händige Ungeschicklichkeit, kleine Dinge zu greifen

  • Vermehrtes Anstoßen an Ecken und Kanten, blaue Flecken

  • heraustretender Augapfel (Proptosis)

Wenn Sie vermehrt diese Zeichen bei Ihrem Kind bemerken, vereinbaren Sie bitte einen Termin bei Ihrem betreuenden Augenarzt, Kinderarzt oder in einer NF1-Spezialambulanz.

Das Risiko für die Entwicklung von MPNST steigt im jungen Erwachsenenalter an. Ab der Pubertät bedürfen einer erhöhten Aufmerksamkeit:

  • Schmerzen, die den Nacht-Schlaf stören

  • Örtlich begrenzte neurologische Veränderungen oder ein Funktionsverlust

  • Schnelles Wachstum von bekannten Veränderungen/Tumoren

  • Harte und/oder schmerzhafte Neurofibrome der Haut

  • Vorbestrahlte Hautregionen

  • Bekannte atypische Neurofibrome (sogenannte ANNUBP= Atypical Neurofibromatous Neoplasms of Uncertain Biologic Potential)

  • Bekannte hohe interne Neurofibrom-Last im Ganzkörper-MRT

Bitte kontaktieren Sie Ihren behandelnden Arzt oder jede Neurofibromatose-Sprechstunde und vereinbaren Sie einen Termin bei Unsicherheiten.

Selbsthilfegruppen und weitere Informationen