Definition

Das Juvenile Polyposis-Syndrom (JPS, OMIM #174900) ist eine genetische Erkrankung, die auf heterozygoten Mutationen im BMPR1A– oder SMAD4-Gen beruht. Sie ist charakterisiert durch das Auftreten juveniler hamartomatöser gastrointestinaler Polypen sowie eine Prädisposition für gastrointestinale Tumoren. Daneben sind Mutationen im SMAD4-Gen mit der hereditären hämorrhagischen Teleangiektasie (HHT) assoziiert.

Eckdaten

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Synonym
Gene BMPR1A
SMAD4
Genprodukte Bone morphogenetic protein receptor type-1A (BMPR1A)
Mothers against decapentaplegic homolog 4 (SMAD4)
Funktion Tumorsuppressoren, assoziiert mit dem TGF-β-Signalweg
Erbgang autosomal-dominant, etwa 67% de novo Mutationen
Prävalenz Die Inzidenz liegt zwischen 1:16.000 und 1:100.000.
Genotyp-
Phänotyp-
Korrelation
SMAD4-Mutationen sind assoziiert mit der hereditären hämorrhagischen Teleangiektasie (HHT, Morbus Osler).

SMAD4-Mutationen gehen mit einem größeren Risiko für Polypen im oberen GI-Trakt einher, wobei dieser Phänotyp vermutlich aggressiver verläuft und mit einer signifikanten Polyposis und einem größeren Risiko für Magenkarzinome assoziiert ist.

Patienten mit einer SMAD4– oder BMPR1A-Mutation haben mit größerer Wahrscheinlichkeit >10 Polypen im unteren GI-Trakt und eine positive Familienanamnese hinsichtlich gastrointestinaler Malignitäten als Patienten ohne nachgewiesene Mutation.

Penetranz  97% der Patienten entwickeln Kolonpolypen, 68% Magenpolypen und 76% haben Zeichen einer HHT.
Das kumulative Lebenszeitrisiko für ein kolorektales Karzinom liegt bei 39%. Das Risiko für ein Magenkarzinom liegt bei 21% bei Patienten mit Magenpolypen.
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Diagnose

Klinische Diagnostik

Der Verdacht auf ein Juvenile Polyposis-Syndrom besteht bei folgenden Befunden:

  • Anämie, rektale Blutung, Prolaps rektaler Polypen

  • >1 juveniler Polyp

  • ≥1 juveniler Polyp und eine positive Familienanamnese hinsichtlich JPS

Diagnosekriterien

Die Diagnose „Juvenile Polyposis-Syndrom“ gilt als gesichert bei einem der folgenden Befunde:

  • >5 juvenile Polypen des Kolons oder Rektums

  • Multiple juvenile Polypen des oberen und unteren GI-Traktes

  • Jede Anzahl juveniler Polypen und eine positive Familienanamnese für juvenile Polyposis

  • Vorliegen einer heterozygoten SMAD4– oder BMPR1A-Mutation

Genetische Diagnostik

Die Diagnose „Juvenile Polyposis-Syndrom“ wird gesichert durch den Nachweis einer heterozygoten Keimbahnmutation des SMAD4– oder BMPR1A-Gens durch Sequenz- oder Deletions-/Duplikationsanalyse. Auch der Einsatz von Panel-Untersuchungen, in denen mehrere Gene erfasst werden, sowie eine Exom- oder Genomsequenzierung kann sinnvoll sein.

Differentialdiagnosen

  • PTEN-Hamartom-Tumor-Syndrom, auch Cowden-Syndrom

  • Nevoid basal cell carcinoma syndrome, auch Gorlin-Syndrom

  • Peutz-Jeghers-Syndrom

  • Hereditary mixed polyposis syndrome

  • Familiäre adenomaöse Polyposis (FAP)

  • MUTYH-assoziierte Polyposis

  • Hereditäres non-polypöses kolorektales Karzinom, auch Lynch-Syndrom

  • Hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie (HHT) ohne SMAD4-Mutation

Klinische Präsentation

Polyposis

Hamartomatöse Polypen treten sowohl im oberen als auch im unteren Gastrointestinaltrakt auf und zeigen eine große Variabilität hinsichtlich Form und Größe: Es können sowohl sessile als auch gestielte Polypen auftreten, deren Anzahl sich zwischen einzelnen wenigen bis über 100 Polypen bewegt. Juvenile Polypen (dabei bezieht sich „juvenil“ auf die Histologie, nicht auf das Alter) können sich vom Säuglings- bis zum Erwachsenenalter entwickeln. Die meisten JPS-Patienten weisen im Alter von 20 Jahren Polypen auf. Als Komplikation kann es zu Blutungen und daraus resultierenden Anämien kommen.

Die meisten juvenilen Polypen sind benigne, jedoch kann maligne Transformation vorkommen. Im Alter von 35 Jahren beträgt die Inzidenz für kolorektale Karzinome 17%-22% und steigt auf 68% im Alter von 60 Jahren. Das durchschnittliche Alter bei Diagnosestellung eines Kolonkarzinoms liegt bei 42 Jahren. Bei Patienten mit gastralen Polypen beträgt die Inzidenz für Magenkarzinome 21%.

Juvenile Polyposis-Syndrom/Hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie (JPS/HHT-Syndrom)

Bei Patienten mit einer SMAD4-Mutation kann ein JPS/HHT-Syndrom auftreten, welches variable Manifestationen einer juvenilen Polyposis sowie eines HHT zeigen kann. Letztere können Epistaxis, Teleangiektasien, arteriovenöse Malformationen (AVM) oder Trommelschlegelfinger sein. Die klinischen Symptome manifestieren sich meist in der frühen Kindheit, wobei pulmonale AVM und Epistaxis nahezu immer auftreten. Komplikationen eines JPS/HHT-Syndroms können Anämien, Migräne und Kopfschmerzen sein.

Daneben kann es im Rahmen einer SMAD4-Mutation zu thorakalen Aortenerkrankungen wie der Dilatation der Aortenwurzel, Aneurysmen oder Aortendissektion sowie zu Mitralklappendysfunktionen kommen.

Besonderheiten bei der Behandlung

Eine endoskopische Polypektomie sollte möglichst frühzeitig durchgeführt werden und kann das Risiko für maligne Transformation, Blutungen oder intestinale Obstruktionen verringern. Bei einer großen Anzahl von Polypen oder starken Symptomen kann eine totale oder subtotale Kolektomie sinnvoll sein.

Ein JPS/HHT-Syndrom sollte wie andere Formen der hereditären hämorrhagischen Teleangiektasie behandelt werden.

Empfehlungen zur Früherkennung bei Ihren Patienten

Empfehlungen zur Früherkennung

Patienten mit SMAD4– oder BMPR1A-Mutation oder klinisch diagnostiziertem JPS:

  • Jährlich Anamnese, klinische Untersuchung und großes Blutbild v.a. im Hinblick auf rektale Blutungen, Anämien, abdominelle Schmerzen, Obstipation, Diarrhö oder Stuhlveränderungen in Form, Größe oder Farbe

  • Koloskopie und Ösophago-Gastro-Duodenoskopie sollten ab 15 Jahren oder bei initialen Symptomen durchgeführt werden.

    • Bei negativem Befund: Wiederholung in 3 Jahren
    • Bei nur wenigen Polypen: Polypektomie (Polypen ≥5mm). Das Screening sollte jährlich fortgesetzt werden, bis keine zusätzlichen Polypen gefunden werden, dann kann es auf alle 3 Jahre ausgeweitet werden.
    • Bei vielen Polypen: Ggf. totale/subtotale Gastrektomie resp. Kolektomie. Das Screening sollte jährlich fortgesetzt werden, bis keine zusätzlichen Polypen gefunden werden, dann kann es auf alle 3 Jahre ausgeweitet werden.

Zusätzlich bei Patienten mit SMAD4-Mutation:

  • Jährlich Anamnese und klinische Untersuchung v.a. im Hinblick auf Epistaxis, andere Blutungen, Kurzatmigkeit, Kopfschmerzen oder neurologische Symptome

  • Regelmäßig Hämatokrit-, Hämoglobin- und Ferritin-Bestimmung und ggf. Therapie einer Eisenmangelanämie

  • MRT-Schädel mit Darstellung der Gefäße in den ersten Lebensmonaten. Wiederholung nach der Pubertät.

  • Transkutane Sauerstoffmessung ab dem frühen Kindesalter alle 1-2 Jahre, bei Auffälligkeiten CT-Thorax oder transthorakale Echokardiographie

  • Regelmäßige Reevaluation pulmonaler AVM nach der Pubertät, vor einer geplanten Schwangerschaft, nach einer Schwangerschaft und alle 5 Jahre mit

    • Kontrastechokardiographie
    • CT-Thorax mit Kontrastmittel bei diagnostiziertem Rechts-Links-Shunt in der zuvor durchgeführten Kontrastechokardiographie

Weitere Informationen

Offene klinische Studien / Register

Selbsthilfegruppen

Leider gibt es bislang keine uns bekannten Selbsthilfegruppen für Patienten mit Juvenilem Polyposis-Syndrom. Sobald uns hier neue Informationen zur Verfügung stehen, werden wir diese ergänzen.