Definition

Das DICER1-Syndrom (OMIM *606241, #601200) beruht auf Keimbahnmutationen im DICER1-Gen und ist ein Krebsprädispositionssyndrom, welches für Pleuropulmonales Blastom (PPB), Keimstrangtumoren des Ovars, zystisches Nephrom, Tumoren der Schilddrüse und zahlreiche weitere benigne sowie maligne Neoplasien prädisponiert.

Eckdaten

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Synonyme DICER1-Pleuropulmonary blastoma familial tumor predisposition syndrome, DICER1-Related Disorders
Gen DICER1
Genprodukte Endoribonuklease DICER1
Funktion Spaltung von Vorläufer-Doppelstrang microRNA in reife microRNA
Erbgang autosomal-dominant, Neumutationen 20%
Prävalenz für das Tragen einer pathogenen oder wahrscheinlich pathogenen Veränderung etwa 1:2500-1:10.000 in der Gesamtbevölkerung
Genotyp-
Phänotyp-
Korrelation
Mosaik Missens Mutationen in der RNase IIIb Domäne von DICER1 verursachen das GLOW Syndrom (Global developmental delay, Lung cysts, Overgrowth and Wilms tumour)
Penetranz Inkomplett; während in einer Familie selten mehr als eine Person mit PPB diagnostiziert wird, ist die Penetranz bei anderen Erkrankungen (z.B. noduläre Hyperplasie der Schilddrüse, benigne Lungenzysten) höher
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Diagnose

Diagnostik

Eine genetische Beratung und Testung hinsichtlich des Vorliegens eines DICER1-Syndroms sollte bei Auftreten folgender Tumoren angeboten werden:

  • Pleuropulmonales Blastom (PPB)

  • Keimstrangtumore des Ovars (Sertoli-Leydig-Zelltumor, juveniler Granulosazelltumor, Gynandroblastom)

  • Zystisches Nephrom

  • Neoplasien der Schilddrüse inkl. Struma multinodosa, Adenome und differenziertes Schilddrüsenkarzinom

  • Medulloepitheliom des Ziliarkörpers (CBME)

  • Embryonales Rhabdomyosarkom (ERMS) der Zervix (Sarcoma botryoides)

  • Nasales chondromesenchymales Hamartom (NCMH)

  • Hypophysenblastom

  • Pineoblastom

Genetische Diagnostik

Um die Diagnose zu sichern, ist der Nachweis einer heterozygoten pathogenen Keimbahnvariante im DICER1-Gen erforderlich. Sollte die dafür angewandte Sequenzanalyse keine pathogene Variante zeigen, so sollte im Anschluss eine Deletions-/Duplikationsanalyse durchgeführt werden.

Differentialdiagnosen

  • PPB: Zystisch adenomatoide Malformation der Lunge, pulmonale Sequestration, bronchogene Zysten, Birt-Hogg-Dubé-Syndrom (Hornstein-Knickenberg-Syndrom), Marfan-Syndrom, Tuberöse Sklerose, Zystische Fibrose, Ehlers-Danlos-Syndrom, Alpha-1-Antitrypsin-Mangel, solide Lungentumore, Synovialsarkom, Rhabdomyosarkom, Ewing-Sarkom, pulmonales Blastom, inflammatorischer myofibroblastischer Tumor

  • Keimstrangtumore des Ovars: Keimzelltumore des Ovars, kleinzelliges Ovarialkarzinom vom hyperkalzämischen Typ, unreifes Teratom, Dottersacktumor, adulter Granulosazelltumor

  • Zystisches Nephrom: Zystische Nierentumore, gemischt epithelial-stromaler Tumor der Niere, isolierte Nierenzysten, Von-Hippel-Lindau-Syndrom, autosomal-rezesive polizystische Nierenerkrankung, autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung

  • Struma multinodosa: Familiäres nichtmedulläres Schilddrüsenkarzinom, papilläres Schilddrüsenkarzinom, familiäre Struma multinodosa, PTEN-Hamartom-Tumor-Syndrom, Pendred-Syndrom, fibröse Dysplasie

  • CBME: Kinder: Retinoblastom, Ziliarkörperzyste, Leiomyom, Xanthogranulom
    Erwachsene: Adenom oder Adenokarzinom des Ziliarepithels, mesoektodermales Leiomyom, Neurilemmom, metastasierendes Karzinom, Granulom

  • ERMS: Benigner zervikaler Polyp, Granulationsgewebepolyp, Plattenepithelpapillom, Müller-Papillom, Müller-Adenosarkom

  • NCMH: Embryonales Rhabdomyosarkom, aneurysmatische Knochenzyste, fibröse Dysplasie

  • Hypophysenblastom: Hypophysenadenom, -hyperplasie, -karzinom, -hamartom, -teratom

  • Pineoblastom: Pineozytom, pinealer parenchymaler Tumor intermediärer Differenzierung, Keimzelltumore, Medulloblastom

Klinische Präsentation

Erkrankung Betroffene (Durchschnittsalter bei Erstdiagnose)
Pleuropulmonales Blastom

  • Typ I PPB (zystisch)
  • Typ II PPB (zystisch/solide)
  • Typ III PPB (solide)
  • Typ Ir PPB (zystisch)
Unterschiedlich – je nach Typ:

  • 0-24 Monate (8 Monate)
  • 12-60 Monate (31 Monate)
  • 18-72 Monate (44 Monate)
  • jedes Alter
Keimstrangtumore des Ovars

  • Sertoli-Leydig-Zelltumor
  • Juveniler Granulosazelltumor
  • Gynandroblastom
Unterschiedlich – je nach Typ:

  • 2-45 Jahre (10-25 Jahre)
  • sehr junge Mädchen oder > 10 Jahre
  • selten Jugendliche, meist Erwachsene
Zystisches Nephrom 0-48 Monate
Struma multinodosa 5-40 Jahre (10-20 Jahre)
Medulloepitheliom des Ziliarkörpers 3-10 Jahre
Embryonales Rhabdomyosarkom der Zervix 4-45 Jahre (10-20 Jahre)
Nasales chondromesenchymales Hamartom 6-18 Jahre
Hypophysenblastom 0-24 Monate
Pineoblastom 2-25 Jahre

Weitere Erkrankungen, die in Verbindung mit Keimbahnvarianten im DICER1-Gen beschrieben wurden: Differenziertes Schilddrüsenkarzinom (5-40 Jahre (10-20 Jahre)), Wilms-Tumor (3-13 Jahre), Juvenile hamartöse intestinale Polypen (0-4 Jahre), Anaplastisches Sarkom der Niere (2-20 Jahre), Medulloblastom, Embryonales Rhabdomyosarkom der Blase (<5 Jahre), Embryonales Rhabdomyosarkom des Ovars, Neuroblastom (<5 Jahre), Kongenitale Phthisis bulbi (Geburt), Primitiv neuroektodermaler Tumor der Zervix.

Besonderheiten bei der Behandlung

Die Behandlung des DICER1-Syndroms muss sich stets nach der bei dem Patienten vorliegenden Tumorerkrankung richten. Häufig besteht diese aus einer initialen chirurgischen Therapie gefolgt von einer Radio- und/oder Chemotherapie. Therapieresistenzen oder eine erhöhte Zytotoxizität sind dabei nicht bekannt.

Empfehlungen zur Früherkennung bei Ihren Patienten

Empfehlungen zur Früherkennung

Ein standardisiertes Vorgehen zur frühzeitigen Erkennung von Krebserkrankungen bei DICER1-Mutationen ist bisher nicht verfügbar, jedoch empfiehlt das International PPB Registry

  • Jährliche klinische Untersuchung

  • Bildgebende bzw. laborchemische Diagnostik je nach Art des Tumors, Patientenalter und klinischem Befund

Pleuropulmonales Blastom

  • Klinische Untersuchung: Atemnot, Brustschmerz, Fieber, Gewichtsverlust?

  • Röntgen-Thorax alle 4-6 Monate (0-8 Jahre), danach jährlich (8-12 Jahre)

  • CT-Thorax initial zwischen 3 und 6 Monaten. Bei unauffälligem Befund sollte das nächste CT-Thorax mit 2,5 bis 3 Jahren erfolgen.

  • Bei Detektion der Mutation im Alter >12 Jahre, Röntgen-Thorax oder CT-Thorax als Baseline-Diagnostik erwägen

Tumore der Schilddrüse

  • Sonographie-Schilddrüse:

    • Ab 8 Jahren; bei unauffälligem Befund erneute Sonographie nach 3 Jahren
    • Bei neu aufgetretenen Asymmetrien und/oder Knoten der Schilddrüse
    • Nach erfolgter Chemotherapie oder vor Beginn einer Chemotherapie
  • Funktionstests bei klinischen Hinweisen auf Hypo- oder Hyperthyreose

Zystisches Nephrom

  • Klinische Untersuchung: Bauchschmerzen, Schwellungen, Hämaturie?

  • Sonographie-Abdomen alle 6 Monate (0-8 Jahre), danach jährlich (8-12 Jahre)

  • Bei Detektion der Mutation im Alter >12 Jahre, Sonographie-Abdomen als Baseline-Diagnostik erwägen

Keimstrang-Stroma-Tumore

  • Klinische Untersuchung: Pubertas praecox, Amenorrhoe, Zeichen der Virilisierung, Raumforderungen in Bauch oder Becken?

    • Bei auffälligen Befunden entsprechende bildgebende bzw. laborchemische Diagnostik (AFP, β-HCG, LDH, Inhibin A und B, Östradiol, Testosteron, CA125, Serum-Elektrolyte inkl. Kalzium)
  • Sonographie-Becken und -Abdomen alle 6-12 Monate ab 8-10 Jahren bis mindestens zum
    40. Lebensjahr

Embryonales Rhabdomyosarkom der Zervix (Sarkoma botryoides)

  • Klinische Untersuchung: Hämaturie, unnormale vaginale Blutung?

  • Blasenspiegelung bzw. Untersuchung der Zervix bei Auffälligkeiten

Medulloepitheliom des Ziliarkörpers

  • Klinische Untersuchung: Auffälligkeiten an Auge oder Orbita?

  • Augenärztliche Untersuchung jährlich ab etwa 3 Jahren und mindestens bis zum 10. Lebensjahr inkl. Messung der Sehschärfe

Nasales chondromesenchymales Hamartom

  • Klinische Untersuchung von Säuglings- bis Erwachsenenalter: Atem- oder Essstörungen, Rhinorrhoe, Epistaxis, Sehstörungen, Otitis media?

  • Nasale Endoskopie bei ophthalmologischen Zeichen (z.B. Ophthalmoplegie, Ptosis, Hypotropie, Enophthalmus) einer Beteiligung der Orbita

Hypophysenblastom

  • Kraniale MRT bei Anzeichen eines Kortisol-Überschusses

Pineoblastom

  • Klinische Untersuchung: neurologische Auffälligkeiten, Cushing Syndrom, Diabetes insipidus?

  • Kraniale MRT bei Auftreten von Symptomen, die auf Hirndruck hindeuten (Kopfschmerzen, gespannte Fontanelle, Erbrechen, Lethargie) oder anderen neurologischen Auffälligkeiten inkl. Blickparesen, Sehstörungen oder Nystagmus