Definition
Die Neurofibromatose Typ 2 ist ein vergleichsweise seltenes Tumorprädispositionssyndrom, das charakterisiert ist durch einen progredienten Hörverlust, der sich aufgrund ein- oder beidseitiger benigner Vestibularisschwannome, früher Akustikusneurinome genannt, entwickelt. Es können weitere Tumore wie Schwannome an zentralen und peripheren Nerven entstehen, auch Meningeome, Gliome und Neurofibrome kommen vor. Darüber hinaus ist eine frühe Visusminderung hinweisend für eine NF2-typische juvenile Katarakt.
Eckdaten
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Synonym | NF2, zentrale Neurofibromatose |
Gen | NF2-Tumorsuppressorgen |
Genprodukt | Merlin (Moesin-Ezrin-Radixin-Like Protein) |
Funktion | zytoskeletales Protein, Tumorsuppression durch (Membran-)Kontakt-vermittelnde Wachstumsinhibition |
Erbgang | autosomal-dominant (37%), de novo (63%, davon 1/3 Mosaik) |
Prävalenz | 1:25.000-33.000 (in der Kindheit 1:150.000) |
Genotyp- Phänotyp- Korrelation |
|
Penetranz | nahezu 100% im Erwachsenenalter (bis 30 Jahre) |
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Diagnose
Diagnosekriterien (Manchester diagnostic criteria for NF2)
- Bilaterale Vestibularisschwannome (VS) oder positive Familienanamnese für NF2
plus Unilaterales VS oder 2 Meningeome/Gliome/Neurofibrome/nicht vestibuläre Schwannome/juvenile posteriore subkapsuläre Katarakte
Zusätzliche Kriterien:
Unilaterales VS plus ≥2 Meningeome/Gliome/Neurofibrome/nicht vestibuläre Schwannome/juvenile posteriore subkapsuläre Katarakte
oderMultiple (≥2) Meningeome plus unilaterales VS oder 2 Gliome/Neurofibrome/nicht vestibuläre Schwannome/Katarakt
Differentialdiagnosen
Neurofibromatose Typ 1
Sporadische VS
Ringchromosom 22 mit Mosaik-Verlust von NF2 (NF2-typische Tumore, Lernbehinderung, CALF)
Klinische Präsentation
Typisch sind ein progredienter Hörverlust und Tinnitus im jungen Erwachsenenalter, milde Verläufe werden gesehen.
Bei Präsentation im Kindesalter (30%) stehen oftmals Meningeome, nicht-kraniale Schwannome, Mononeuropathien und okuläre Symptome (retinale Hamartome, Katarakt) im Vordergrund.
Klassische Befunde
Benigne Nervenscheidentumore, vorrangig Schwannome
- Bilateral vestibulär VIII. HN (90-95%) – Hörverlust, Gleichgewichtsstörung
- Multifokal: kranial (24-51%, außer I./II. HN), spinal (63-90%), peripher, intrakutan
Meningeome (45-77%, gesamte Neuroachse)
Niedriggradige Ependymome (5-33%, vorrangig intraspinal)
Astrozytome
Haut: Hauttumore (70%, überwiegend Schwannome, selten Neurofibrome), Präsentation in drei distinkten Formen:
- Plaque-artige intrakutane Schwannome (41-48%, leicht erhaben, hyperpigmentiert, vermehrt behaart)
- Tiefer gelegene subkutane knotige Tumore (43-48% als fusiforme Schwellung imponierend)
- Intrakutane Neurofibrome (59-68%)
CALF
Auge: Juvenile posteriore subkapsuläre Katarakte (60-81%), Amblyopie, epiretinale Membranen (12-40%), retinale Hamartome (6-22%), Meningeome des N. opticus
Neuropathien (-66%), inbesondere spinale Tumore verursachen Schmerzen, Muskelschwäche und Parästhesien
Tumorrisiko bei NF2 bis zum 16. LJ (nach Evans et al., AACR 2016)
< Tabelle seitlich verschiebbar >
Tumorsymptom Wahrscheinlichkeit | Tumorwahrscheinlichkeit im MRT | Risiko im Erwachsenenalter | |
---|---|---|---|
Vestibularis-schwannome | 25% | 70-80% | 100% |
Kraniale Schwannome | <1% | 20% | 40% |
Meningeome | 10% | 15-20% | 70% |
Ependymome | 0,2-0,5% | 10% | 25% |
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Besonderheiten bei der Behandlung
Mikrochirurgie
Radiatio (Cave: Sekundärmalignomrisiko bei Kindern)
Hirnstamm-/Cochlearimplantat
Bevacizumab (Avastin, VEGF-Inhibitor, NUB, off-label use) bei progressiven VS mit drohendem Hörverlust
Empfehlungen zur Früherkennung bei Ihren Patienten
Empfehlungen zur Früherkennung
Untersuchungsempfehlungen der AACR 2016 für Kinder mit NF2
Jährlich Anamnese und klinische Kontrolle, Audiometrie (Ton- und Sprachaudiometrie)
Jährlich Schädel-MRT (im Jahr der Diagnosestellung bei auffälligem Befund 2x, um Wachstumsrate zu eruieren) ab 10. LJ (früher bei Hochrisiko-Genotyp und klinischer Symptomatik) hochauflösend (1-3 mm Schichtdicke) im Bereich des inneren Gehörganges, vorzugsweise in mind. 2 orthogonalen Ebenen
Bei unauffälligem MRT-Befund und Asymptomatik ist ein MRT-Screening alle 2 Jahre ausreichend.
Spinales MRT ab 10. LJ alle 2-3 Jahre (sobald Tumorwachstum detektiert, erste Kontrolle nach 6 Monaten empfohlen, um Tumorwachstumsrate zu erfassen)
Ganzkörper-MRT erwägen
Keine generelle Empfehlung für Routine-Screening mit F-FDG-PET/CT oder MRT.
Präsymptomatische Testung ab 10.-12. LJ