Definition
Das Nijmegen-Breakage-Syndrom (OMIM #251260) ist eine erbliche syndromale Erkrankung, die mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergeht. Sie ist bedingt durch einen Defekt im DNA-Doppelstrangbruchreparatursystem und eine erhöhte Chromosomenbrüchigkeit. Symptome sind eine auffällige Fazies, die durch eine Mikrozephalie und Retrognathie bedingt ist, eine Immunschwäche und erhöhte Infektneigung. Die am häufigsten assoziierten Tumore sind maligne Lymphome.
Eckdaten
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Synonym | NBS, OMIN #251260 |
Gen | NBN |
Genprodukt | Nibrin |
Funktion | Teil des MRE11/RAD50 Doppelstrangbruch Reparatur Komplexes |
Erbgang | autosomal-rezessiv |
Prävalenz | 1:100.000 weltweit, häufiger in slawischer Bevölkerung Osteuropas |
Genotyp- Phänotyp- Korrelation |
Die in Osteuropa häufigste pathogene Variante c.657_661del5 und die meisten Loss of function-Mutationen resultieren in der klassischen Präsentation. |
Penetranz | unbekannt |
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Diagnose
Hinweisende Befunde
Immundefizienz
Reduzierte B-, CD3+ und CD4+ Zellen (80-89%)
Deutliche Hypogammaglobulinämie (~20%)
IgA-Defizienz (~50%)
IgG2- und IgG4- Defizienz (bei normalem Serum-IgG)
Erhöhung von CD45RO+ T-Gedächtniszellen bei gleichzeitiger Erniedrigung der naiven CD45RA+ T-Zellen (selten)
Stimulierte in vitro Proliferation von B- und T-Zellen reduziert
Chromosomeninstabilität
Strukturelle Aberrationen in den Chromosomen 7 und 14 (wie in A-T)
Häufige Breakpoints 7p13, 7q35, 14q11, and 14q32 (Loci für Immunglobuline und T-Zell-Rezeptor-Gene)
Strahlensensitivität
Erhöhte Sensitivität gegenüber ionisierender Strahlung (wie in A-T)
Diagnose
Typische Klinik in Verbindung mit molekulargenetisch nachgewiesener bialleler/homozygoter pathogener Variante im NBN-Gen und/oder fehlendem Nibrin im Immunoblot.
Analyse des NBN-Gens
- Gezielte Analyse der pathogenen Variante c.657_661del5 (Nachweis in ~100% der Individuen slavischer Herkunft (Polen, Tschechische Republik, Ukraine) und ~70% nordamerikanischer Herkunft)
- Bei fehlendem homozygoten Nachweis, NBN-Sequenzanalyse empfohlen
Multi-Gen-Panel
Differentialdiagnosen
Fanconi-Anämie
Ataxia-Teleangiectasia
Nijmegen breakage syndrome like disorder (RAD50-Defizienz)
Rubinstein-Taybi-Syndrom
Seckel-Syndrom
LIG4-Syndrom
NHEJ1-Syndrom
Kleinwuchs-Mikrozephalie-endokrine Dysfunktion-Syndrom
Klinische Präsentation
Klinische Präsentation
Progressive Mikrozephalie
Intrauterine Wachstumsretardierung
Kleinwuchs
Mikrogenie/Retrognathie (führt zu einer Vogel-ähnlichen Fazies)
Immundefizienz
Rezidivierende pulmonale Infekte (Pneumonien, Bronchitiden, Sinusitiden, Otitiden)
Prämatures Ovarialversagen
Zeitgerechtes Erreichen der Entwicklungsmeilensteine im ersten Lebensjahr, nach dem 7. Lebensjahr milde bis moderate Intelligenzminderung möglich
Pigmentationsstörungen der Haut
Krebsprädisposition
40% Tumorinzidenz vor dem Alter von 20 Jahren
Entitäten
T-Zell-Lymphome (55%)
B-Zell-Lymphome (45%)
Medulloblastome
Gliome
Rhabdomyosarkome
Heterozygote Träger (z.B. Eltern) haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Mamma- und Prostata-Karzinomen, eine genetische Testung ist nach Identifikation der pathogenen Variante unbedingt sinnvoll.
Besonderheiten bei der Behandlung
Vermeidung ionisierender Strahlenexposition (Röntgen, CT), wenn möglich
Reduktion/Vermeiden von Strahlen, wenn möglich
Vitamin E- und Folsäure-Supplementation (bei Chromosomeninstabilität)
Intravenöse Immunglobuline bei schwerer Immundefizienz und Infektneigung
Standard Chemotherapie für Lymphome (individuell adaptiert an Toleranz)
Erwägung einer KMT in Erstremission
Hormonersatztherapie für Frauen mit hypergonadotropen Hypogonadismus
Brusteigenuntersuchung bei betroffenen Frauen
Empfehlungen zur Früherkennung bei Ihren Patienten
Empfehlungen zur Früherkennung
Evidenzbasierte Standards für eine Früherkennung fehlen, insbesondere in der Kindheit. Nachfolgend finden Sie die AACR-Konsensus-Empfehlungen:
Hämato-Onkologie: Anamnese und klinische Untersuchung, jährliches Blutbild, metabolisches Profil inklusive Laktatdehydrogenase (LDH), HPV-Impfung
Dermatologie: Jährliches Hautscreening
Pulmonologie: Basis-Untersuchung bei Diagnose, pulmonologische Funktionstestungen entsprechend klinischem Bedarf, aggressive antibiotische Therapie nach Antibiogramm
Gastroenterologie/Ernährung: Basis-Untersuchung bei Diagnose, bei Bedarf Schlucktests, Nahrungssupplementation
Endokrinologie: Wachstumsdokumentation (Größe, Gewicht, KU), Ovarialfunktionstestung bei Frauen
Neurologie: Entwicklungstestung und frühzeitige Förderung bei Bedarf
Orthopädie: Basis-Untersuchung und nach Bedarf
Zahnarzt: Halbjährliche Kontrollen
Daneben ist auch ein Monitoring der Immunglobulinlevel entsprechend immunologischen Empfehlungen sinnvoll.