Was ist die Konstitutionelle Mismatch Repair-Defizienz?

Die Konstitutionelle Mismatch Repair-Defizienz (CMMRD, Constitutional Mismatch Repair Deficiency) ist eine seltene genetische, also eine erbliche Erkrankung. Sie kann bereits im Kindesalter zu verschiedenen bösartigen Tumoren wie Hirntumoren, Darmtumoren oder Eierstocktumoren u.v.a., aber auch zu Leukämien führen. Daher gehört die CMMRD zu den Krebsprädispositionserkrankungen.

Wie wird die Diagnose Konstitutionelle Mismatch Repair-Defizienz gestellt?

Die Diagnose CMMRD sollte in Betracht gezogen werden bei Krebspatienten, die gleichzeitig eines oder mehrere der folgenden Merkmale aufweisen:

  • Café-au-lait-Flecken und/oder andere Neurofibromatose 1-typische Hautveränderungen und/oder wenig pigmentierte Hautläsionen

  • Konsanguine (blutsverwandte) Eltern

  • Lynch-Syndrom-assoziierte Tumoren in der Familie (Kolorektales Karzinom, Dünndarmkarzinome, Endometrium-/Ovarialkarzinom, Ureter-/Nierenbeckenkarzinom)

  • Zweite Krebserkrankung

  • Geschwisterkind mit Krebserkrankung im Kindesalter

Das europäische Konsortium „Care for CMMRD (C4CMMRD)“ entwickelte daneben ein umfangreiches Diagnostikprotokoll, welches auch Hirntumoren, Lymphome, Hauttumoren und immunologische Faktoren mit einschließt.

Da es sich um eine genetische, also erbliche Erkrankung handelt, sollte zur Diagnosesicherung eine genetische Untersuchung durchgeführt werden. Dabei kann herausgefunden werden, ob in den für eine CMMRD relevanten Genen MSH2, MSH6, MLH1 und PMS2 eine Mutation, also eine Veränderung des Erbgutes, vorliegt. Daneben ist es wichtig zu wissen, dass in unserem Körper jedes Gen doppelt vorhanden ist, es gibt also jeweils zwei sogenannte Allele. Mutationen können entweder eines der Allele oder beide betreffen, wobei dann bei letzterem von einer biallelischen Mutation gesprochen wird. Diese biallelische Mutation liegt der CMMRD zugrunde und kann in einer genetischen Untersuchung ebenfalls detektiert werden.

Bei dieser Form der Vererbung beträgt das Risiko, dass die Eltern ein weiteres krankes Kind bekommen 25%. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein weiteres Kind Träger der Mutation, jedoch nicht krank ist, beträgt 50%. Daher ist es sinnvoll, sowohl die Eltern eines betroffenen Kindes als auch seine Geschwister genetisch zu untersuchen.

Weitere klinische Merkmale

Charakteristisch für die CMMRD ist das frühe Auftreten von Krebserkrankungen im Kindes- oder jungen Erwachsenenalter, dabei liegt das Durchschnittsalter bei der ersten Krebserkrankung bei 7,5 Jahren. Die durchschnittliche Überlebenszeit nach der Diagnosestellung der ersten Krebserkrankung liegt bei 30 Monaten. Im Folgenden sind die im Rahmen einer CMMRD bisher beschriebenen Erkrankungen aufgelistet:

Hämatologische Krebserkrankungen (Durchschnittsalter bei Erstdiagnose 6,6 Jahre)

  • Non-Hodgkin-Lymphom, v.a. T-lymphoblastisches NHL, und andere Lymphome

  • Akute lymphoblastische Leukämie (ALL), v.a. T-Zell-ALL

  • Akute myeloische Leukämie (AML)

  • Atypische chronisch myeloische Leukämie

  • Akute Leukämie

Hirntumore (Durchschnittsalter bei Erstdiagnose 10,3 Jahre)

  • Glioblastom und andere astrozytische Tumore

  • Supratentorieller primitiver neuroektodermaler Tumor

  • Medulloblastom

Lynch Syndrom-assoziierte Krebserkrankungen

  • Kolorektales Karzinom

  • Dünndarmkarzinome

  • Endometrium-/Ovarialkarzinom

  • Ureter-/-Nierenbeckenkarzinom

Andere

  • Sarkome (Osteosarkom, Rhabdomyosarkom)

  • Neuroblastom

  • Wilms-Tumor

  • Infantile Myofibromatose

  • Mammakarzinom

  • Primitiv neuroektodermaler Tumor des Ovars

Wie hoch ist das Krebsrisiko?

Genaue Zahlen liegen dazu bislang nicht vor. Es hat sich bisher gezeigt, dass die Betroffenen sehr früh an Krebs erkranken und das Krebsrisiko sehr hoch ist, so dass die meisten betroffenen Kinder das Erwachsenenalter nicht erreichen. Die Wahrscheinlichkeit, den einen oder anderen Tumor zu entwickeln ist abhängig von dem mutierten Gen. Mutationen in MSH6 und PMS2 sind dabei deutlich häufiger und führen zu einem anderen klinischen Bild als Mutationen in MLH1 und MSH2. Letztere führen häufiger zu hämatologischen Krebserkrankungen (Leukämien, Lymphome) und das durchschnittliche Alter bei der ersten Krebsdiagnose ist geringer als bei Trägern biallelischer Mutationen in MSH6 oder PMS2. Patienten mit Mutationen in MSH6 oder PMS2 neigen vor allem zu Lynch-Syndrom (LS)-assoziierten Krebserkrankungen (Kolorektales Karzinom, Dünndarmkarzinome, Endometrium-/Ovarialkarzinom, Ureter-/Nierenbeckenkarzinom) sowie Hirntumoren und entwickeln nach überlebter erster Krebserkrankung meist eine weitere.

Wodurch entsteht die Konstitutionelle Mismatch Repair-Defizienz?

In unseren Zellen wird die DNA, also unsere Erbinformation immer wieder kopiert und „übersetzt“, wobei Fehler auftreten können. Damit diese Fehler korrigiert werden können, gibt es das sogenannte „Mismatch Repair System“, ein Reparatursystem. Dieses System besteht aus vielen verschiedenen Proteinen (Eiweißen), für die verschiedene entsprechende Gene kodieren. Die für die CMMRD relevanten Gene heißen MSH2, MSH6, MLH1 und PMS2. Liegt eine Mutation, also eine Veränderung in einem dieser Gene vor, wird daraufhin auch das entsprechende Protein fehlerhaft oder gar nicht produziert. Dadurch kann dann das Reparatursystem nicht korrekt arbeiten und es kommt zur Entstehung von Krebserkrankungen.

Bei der CMMRD handelt es sich um eine genetische Erkrankung. Treffen bei einem Individuum nun zwei mutierte Gene aufeinander, ist diese Person homozygot im Hinblick auf diese Veränderung und es kommt zur Ausprägung der Erkrankung. Bei dieser Form der Vererbung spricht man von einem autosomal-rezessiven Erbgang. Dabei ist es in der Regel so, dass die Eltern zwar Mutationsträger, aber von der Krankheit nicht betroffen sind, da diese nur auftritt, wenn beide Allele genetisch verändert sind. Geschwisterkinder des Patienten können mit einer Wahrscheinlichkeit von jeweils 25% entweder auch erkranken oder aber keine Mutation auf diesem Gen in sich tragen. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% sind Geschwister zwar Mutationsträger, aber nicht krank.

Gibt es eine Therapie?

Die Therapie richtet sich nach der jeweils vorliegenden Erkrankung und nach den bestehenden Symptomen. In den meisten Fällen besteht sie aus einer Kombination von operativer Therapie und Chemotherapie. Letztere verursacht keine stärkeren Unverträglichkeiten bei Krebspatienten mit CMMRD als bei anderen Krebspatienten. Einige Substanzen sind jedoch nicht so wirksam und sollten daher nicht genutzt werden. Derzeit wird in Studien die Wirkung von Checkpoint-Inhibitoren überprüft.

Gibt es Maßnahmen zur Früherkennung von Krebserkrankungen?

Maßnahmen zur Früherkennung

Ziel regelmäßiger Untersuchungen von Patienten mit CMMRD ist die möglichst frühe Erkennung von Krebserkrankungen oder deren Vorstufen, so dass eine frühzeitige Behandlung erfolgen kann. Dabei spielen die klinische Untersuchung sowie verschiedene apparative und laborchemische Untersuchungen eine wichtige Rolle.

Das europäische Konsortium „Care for CMMRD (C4CMMRD)“ und das „International Biallelic Mismatch Repair Deficiency Consortium“ (BMMRD) haben auf Grundlage aktuell verfügbarer Daten zu Krebserkrankungen bei CMMRD und jeweiligem Krankheitsbeginn ein Protokoll zu Früherkennungsuntersuchungen von CMMRD-Patienten entwickelt.

Kinder und Jugendliche

Hirntumore

  • MRT des Kopfes ab Diagnose CMMRD alle 6 Monate (nicht durch Ganzkörper-MRT zu ersetzen) und bei klinischem Verdacht

  • Ultraschall durch die offene Fontanelle ist kein adäquater Ersatz für MRT

Diverse Tumore

  • Ganzkörper-MRT ab 6 Jahren (oder sobald ohne Anästhesie durchführbar) einmal jährlich (kann MRT des Kopfes nicht ersetzen)

Leukämien

  • Großes Blutbild ab 1 Jahr alle 6 Monate

Lymphome

  • Ultraschall des Bauches ab 1 Jahr alle 6 Monate (kann im Wechsel mit Ganzkörper-MRT erfolgen)

Gastrointestinale Tumore

  • Darmspiegelung ab 6 Jahren einmal jährlich; ab dem Auftreten von Polypen alle 6 Monate

  • Magenspiegelung sowie Video-Kapselendoskopie ab 8 Jahren einmal jährlich

  • Vorsorgliche Dickdarmentfernung abhängig von der Zahl der Polypen und deren Grad der Zellveränderungen

Erwachsene

Tumore des Genitaltraktes und der Harnwege

  • Gynäkologische Untersuchung mit Ultraschall, Probenentnahme von Gebärmutterschleimhaut, Urinuntersuchungen ab 20 Jahren einmal jährlich

Selbstfürsorge und Selbsthilfe

Worauf sollte ich besonders achten?

Hämatologische Erkrankungen können sich durch Unwohlsein, Ermüdung, Leistungsminderung, Blässe, Infektanfälligkeit, Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust, Blutungen (z.B. Nasen- oder Zahnfleischblutungen) oder vermehrte blaue Flecken äußern.

Neurologische Auffälligkeiten können Symptome eines Hirntumors sein. Dazu gehören Kopfschmerzen, Schläfrigkeit bis hin zu Bewusstseinsstörungen, morgendliches Erbrechen, Bewegungs- oder Koordinationsstörungen und eine Fallneigung.

Stuhlauffälligkeiten sowie Blut im Stuhl oder Urin können auf Tumore des Darmes oder harnleitenden Systems hinweisen.

Falls Sie eines oder mehrere dieser Zeichen bei Ihrem Kind beobachten, sollten Sie dringend einen Arzt aufsuchen.

Selbsthilfegruppen und weitere Informationen