Neurofibromatose Typ1 – Definition

Die Neurofibromatose Typ 1 ist ein vergleichsweise häufiges Tumorprädispositionssyndrom, das durch Café-au-lait-Flecken, Neurofibrome auf und unter der Haut und Sommersprossen in den Achselhöhlen und Leisten klinisch auffällt. Darüber hinaus kennzeichnen Irishamartome, charakteristische Knochenveränderungen, Skoliose, Makrozephalus und Kleinwuchs sowie Lernstörungen die NF1. Gelegentlich können sich Tumore im Bereich von Hirnnerven oder des Rückenmarks und prinzipiell an jedem peripheren Nerven entwickeln. Die NF1 wird normalerweise in der Kindheit diagnostiziert.

Synonyme:

NF1, Morbus Recklinghausen

Gen:

NF1-Tumorsuppressorgen

Gen­produkte:

Neurofibromin

Funktion:

Regulation von Zellwachstum und Zelldifferenzierung in Nervenzellen und Myelinscheiden. Tumorentstehung durch Down-Regulation der RAS-Signal-Transduktions-Kaskade.

Erb­gang:

autosomal-dominant (50%), de novo (50% ; Intron-Mutation, Exon-Deletion, Missense-Mutation, Insertion, Punktmutation, Stoppmutationen), selten Mosaik oder segmental begrenzte postzygotische Form der NF1

Prävalenz:

1:3.000

Genotyp-Phänotyp-Korrelation:

gering bei sehr hoher Expressionsvariabilität

Penetranz:

nahezu 100% im Erwachsenenalter

Übersicht der Kapitel auf dieser Seite:

  • Wie hoch ist das Krebsrisiko?

  • Was ist über die Entstehung bekannt?

  • Gibt es eine Therapie?

  • Medizinische Maßnahmen zur Früherkennung

  • Neurofibromatose Typ1 – was Sie selber tun können
  • Links (z.B. von Selbst­hilfe­gruppen) und weitere Informationen
  • Klinische Präsentation

  • Besonderheiten bei der Behandlung

  • Empfehlungen zur Früherkennung bei Ihren Patient:innen

  • Weitere Informationen (z.B. Links von Selbsthilfegruppen)

Neurofibromatose Typ1 – Diagnosestellung

Diagnosekriterien

≥2 der folgenden Kriterien müssen präsent sein; CAVE altersabhängige Entwicklung!

  • ≥6 Café-au-lait-Flecken (CALF), der größte Durchmesser >5mm präpubertär und >15 mm postpubertär
  • ≥2 Neurofibrome jeder Art oder ein plexiformes Neurofibrom
  • Freckling (axillär und/oder inguinal)
  • Optikusgliom
  • ≥2 Lischknötchen (Hamartome der Iris)
  • Charakteristische Knochenveränderungen (Keilbeinflügel-Dysplasie, Tibiapseudarthrose)
  • NF1 in erstgradiger Verwandtschaft (Eltern, Geschwister, Kinder)

Differentialdiagnosen

  • Legius-Syndrom
  • Konstitutionelle-Mismatch-Repair-Defizienz (CMMRD)
  • Noonan-Syndrom mit multiplen Lentigines
  • Lynch-Syndrom

Klinische Präsentation

Die Diagnose „NF1“ kann in den allermeisten Fällen klinisch anhand der klassischen Diagnosekriterien getroffen werden. Weitere typische aber nicht pathognomonische Befunde sind:

  • Makrozephalus
  • Kleinwuchs
  • Skoliose
  • Nichtossifizierende Fibrome
  • Osteoporose
  • Vertebrales Scalloping (Duralektasien)
  • Rib Penciling (Röntgen-Thorax)
  • Hypertonie
  • Vaskulopathie
  • Aquäduktstenose
  • Lernschwierigkeiten, kognitive Defizite
  • NF1-assozierte bright spots in T2-gewichteter kranialer MRT

Krebsprädisposition

  • Maligne periphere Nervenscheidentumore (MPNST) entstehen meist aus plexiformen oder tiefer gelegenen Neurofibromen, das Lebenszeitrisiko liegt zwischen 8-12%.
  • Das Optikusgliom (pilozytisches Astrozytom) zeigt einen Erkrankungsgipfel zwischen 0-6 Jahren. Das Lebenszeitrisiko beträgt etwa 15%.
  • Hochgradige ZNS-Tumore (Hirnstammgliome) <1%, oftmals mit Optikusgliomen assoziiert
  • Juvenile myelomonozytäre Leukämie (JMML, 1:300)
  • Embryonales Rhabdomyosarkom (eRMS) mit Erkrankungsalter zwischen 0-5 Jahren und Risiko <1%
  • Endokrine Tumore, Phäochromozytome, Karzinoid-Tumore oder medulläre Schilddrüsenkarzinome, Risiko <1%
  • Glomus Tumore, kleine, schmerzhafte Knötchen an den Fingerspitzen
  • Gastrointestinale Stromatumore (GIST) Risiko 2%
  • Mammakarzinom, Risiko 4-5-fach erhöht mit moderatem (20%) Lebenszeitrisiko

Bei familiärer NF1 ist oftmals eine frühzeitige klinische Diagnose möglich (im Säuglings-/Kleinkindalter). Bei de novo Mutationen oder Mosaik-Mutationen werden auch dezente Verläufe, die unter Umständen erst im Schulkindalter oder jungen Erwachsenenalter symptomatisch werden, gesehen.

Besonderheiten bei der Behandlung

  • Symptom-/komplikationsorientiert
  • Bei symptomatischen Optikusgliomen (Visusverlust, Protrusio bulbi) Chemotherapie erwägen, Radiatio nicht empfohlen
  • MEK1/2-Inhibitoren (Selumetinib, Cobimetinib, Trametinib) als Ultima ratio zur Größenreduktion inoperabler plexiformer NF (NUB, off-label use)

Diagnose Neurofibromatose Typ1. Wie geht es weiter?

Nach der Diagnose ist es ratsam, die Weiterbehandlung von betroffenen Patient:innen durch eine:n Spezialist:in für dieses Krebsprädispositionssyndrom durchführen zu lassen. Im folgenden Abschnitt schildern wir Ihnen, ob Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung oder andere Maßnahmen erforderlich sind und wie diese erfolgen sollten. Zudem finden Sie am Ende dieser Seite noch ein paar weiterführende Informationen wie z.B. die Links von Selbsthilfegruppen.

Diagnose Neurofibromatose Typ1. Wie geht es weiter?

Nach der Diagnose ist es ratsam, die Weiterbehandlung von betroffenen Patient:innen durch eine:n Spezialist:in für dieses Krebsprädispositionssyndrom durchführen zu lassen. Im folgenden Abschnitt schildern wir Ihnen, ob Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung oder andere Maßnahmen erforderlich sind und wie diese erfolgen sollten. Zudem finden Sie am Ende dieser Seite noch ein paar weiterführende Informationen wie z.B. die Links von Selbsthilfegruppen.

Empfehlungen zur Früherkennung für Kinder und Erwachsene

Untersuchungsempfehlungen der AACR 2016

  • Bei Diagnose molekulargenetische Testung zur Sicherung/Bestätigung der Diagnose
  • Jährliche klinische Kontrolle (Anamnese und Untersuchung) mit Hauptaugenmerk auf Hautveränderungen und neurologischen Status, Blutdruckmessung (zum Ausschluss Nierenarterienstenose, Phäochromozytom) und Entwicklungsbeurteilung mit Größe, Gewicht und Pubertätsstadium
  • Alle 6-12 Monate ergänzende augenärztliche Untersuchungen bis zum 8. Lebensjahr (Visus, Gesichtsfelder, Pupillenreflexe, Fundus), danach 1-2 jährlich bis zum 20. Lebensjahr
  • Einmalige (Baseline) Untersuchung auf Farbsehen und Gesichtsfelder sobald es die Kindesentwicklung erlaubt
  • OCT (optical coherence tomography) bei jeder augenärztlichen Untersuchung, wenn verfügbar
  • Bei Visusverlust im Screening und Ausschluss anderer Ursachen (Refraktionsfehler, Linsentrübung) wird eine Kontrolle nach 2 Wochen empfohlen, bei Befundbestätigung ist eine MRT gerechtfertigt.
  • Jährliches klinisches Screening auf MPNST (Cave: schnellwachsend und/oder schmerzhaft, nicht-dermale Neurofibrome, die zu neurologischen Defiziten und Funktionsverlust führen und/oder Veränderungen in der Beschaffenheit zeigen)
  • Bei Transition im jungen Erwachsenenalter, zwischen 16-20 Jahren, kann man eine Ganzkörper-MRT erwägen, da man um die Assoziation der Entwicklung von MPNST bei hoher interner Tumorlast weiß.
  • Patientenschulung im Hinblick auf ein 4-5-fach erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Brustkrebs; Angebot eines erweiterten Brustkrebs-Screenings für Frauen im Alter von 30-50 Jahren
  • Im Erwachsenenalter jährliche klinische Kontrollen mit Blutdruckmessung und Zugang zu allen Spezialambulanzen nach entsprechender Klinik
  • Keine Routine-MRT bei blander Klinik