"Multiple endocrine neoplasia type 1" – was ist das?

Die multiple endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN1, auch Wermer-Syndrom genannt) ist eine Erkrankung, die auf Mutationen, also genetischen Veränderungen im MEN1-Gen beruht. Betroffene der MEN1 haben ein deutlich höheres Risiko für die Entwicklung von Tumoren der Nebenschilddrüsen verbunden mit einer Nebenschilddrüsenüberfunktion (PHPT), von Tumoren der Inselzellen der Bauchspeicheldrüse und des Hypophysenvorderlappens (anterior pituitary neuroendocrine tumors, PitNET). Insgesamt beinhaltet das MEN1-Tumorspektrum über 20 hormonproduzierende und nicht-hormonproduzierende Tumoren, die in verschiedenen Kombinationen auftreten können.

Übersicht der Kapitel auf dieser Seite:

  • Wie hoch ist das Krebsrisiko?

  • Was ist über die Entstehung bekannt?

  • Gibt es eine Therapie?

  • Medizinische Maßnahmen zur Früherkennung

  • Multiple endocrine neoplasia type 1 – was Sie selber tun können
  • Links (z.B. von Selbst­hilfe­gruppen) und weitere Informationen
  • Wie hoch ist das Krebsrisiko?

  • Was ist über die Entstehung bekannt?

  • Gibt es eine Therapie?

  • Medizinische Maßnahmen zur Früherkennung

  • Multiple endocrine neoplasia type 1 – was Sie selber tun können
  • Links (z.B. von Selbsthilfegruppen) und weitere Informationen

Wie wird die Diagnose "Multiple endocrine neoplasia type 1" gestellt?

Genetische Diagnostik

Eine genetische Testung ist angeraten bei folgenden Personen:

  • Jede Person mit zwei oder mehr MEN1-typischen Tumoren (siehe unten)
  • Jede Person mit einem MEN1-typischen Tumor und einem erstgradig Verwandten mit MEN1
  • Jede Person unter 30 Jahren mit PHPT, Vorläuferläsionen der Bauchspeicheldrüse oder Inselzelltumor der Bauchspeicheldrüse

Die Diagnose „MEN1“ wird gesichert durch den Nachweis einer Mutation, also einer genetischen Veränderung des MEN1-Gens.

Klinische Diagnosekriterien

  • Mindestens zwei primäre MEN1-typische Tumore (z.B. Nebenschilddrüsentumor, Inselzelltumor oder PitNET)
  • Bei Familienmitgliedern einer Person mit nachgewiesener MEN1 genügt ein MEN1-typischer Tumor

MEN1-typische Tumore sind folgende:

  • Tumore der Nebenschilddrüsen
  • Tumore des Hypophysenvorderlappens (PitNET)
  • Gut differenzierte hormonproduzierende Tumore des Magen-Darm-Traktes und der Bauchspeicheldrüse (Gastrinom, Insulinom, Glukagonom, VIPom)
  • Karzinoide (Thymus-, Bronchus-, Magenkarzinoid)
  • Tumore der Nebennierenrinde

Wie hoch ist das Krebsrisiko?

Tumore der Nebenschilddrüsen und PHPT

  • Häufigste MEN1-Manifestation, die bei 95% der Patient:innen auftritt
  • Bei 90% der Patient:innen die erste Manifestation, die meist zwischen 20 und 25 Jahren auftritt
  • Gekennzeichnet durch zu hohe Kalziumspiegel im Blut

Gut differenzierte hormonproduzierende Tumore des Magen-Darm-Traktes und der Bauchspeicheldrüse

  • Gastrinome sind Tumore, die das Hormon Gastrin produzieren, welches zu einer vermehrten Salzsäureproduktion im Magen führt, wodurch Magengeschwüre entstehen können. Das Erkrankungsbild wird Zollinger-Ellison-Syndrom genannt. Gastrinome treten bei etwa 40% der Patient:innen auf und das Erkrankungsalter liegt meist vor dem 40. Lebensjahr. 25% der Patient:innen haben keinen Verwandten mit diagnostizierter MEN1.
  • Insulinome sind Tumore, die v.a. das Hormon Insulin produzieren, welches zur Aufnahme von Zucker in die Körperzellen und damit zu einem niedrigen Blutzuckerspiegel führt. Sie treten bei etwa 10% der Patient:innen auf. Das Erkrankungsalter bei MEN1-Mutation ist etwa 10 Jahre früher als bei Insulinomen, die nicht auf einer MEN1-Mutation beruhen.
  • Glukagonome sind Tumore, die das Hormon Glukagon produzieren, welches über verschiedene Stoffwechselwege Zucker bereitstellt, also zu einem erhöhten Blutzuckerspiegel führt.
  • VIPome sind Tumore, die das Hormon VIP (vasoaktives intestinales Polypeptid) produzieren, wodurch es u.a. zu wässrigen Durchfällen und einem zu geringen Kaliumspiegel im Blut kommt.

Tumore der Adenohypophyse (Vorderlappen der Hypophyse) = PitNET

  • Treten bei 30-55% der Patient:innen auf
  • Bei 10% der familiären und 25% der nicht-familiären Fälle sind sie die erste Manifestation
  • Häufigster Tumor ist das Prolaktinom, welches das Hormon Prolaktin produziert. Dies kann bei Frauen u.a. Milchfluss aus der Brust, Zyklusstörungen und Sterilität auslösen. Bei Männern kann es zu Impotenz, Libidostörungen und Gynäkomastie (Größenwachstum der Brustdrüsen) kommen.
  • Weniger häufig sind GH- und ACTH-produzierende Tumore, selten sind TSH-produzierende Tumore.

Karzinoide

  • Thymus-, Bronchus- und Magenkarzinoide treten bei etwa 10% der MEN1-Patient:innen auf und sind Tumore, die aus den Zellen des neuroendokrinen Systems hervorgehen.
  • Thymuskarzinoide finden sich häufiger bei Männern als bei Frauen (20:1), Bronchuskarzinoide häufiger bei Frauen als bei Männern.
  • Thymuskarzinoide bei MEN1 sind sehr aggressiv und verlaufen häufig tödlich.

Nebennierenrindentumore

Sie treten bei 20-40% der MEN1-Patient:innen auf und sind nur selten hormonproduzierend.

Tumore der Haut

Angiofibrome, Kollagenome und Lipome treten häufig im Rahmen einer MEN1 auf.

Multiple endocrine neoplasia type 1 – was ist über die Entstehung bekannt?

Die MEN1 beruht auf einer Mutation, also einer genetischen Veränderung des MEN1-Gens. Dieses Gen kodiert für das Menin-Protein, welches im normalen Stoffwechsel die Vervielfältigung von genetischem Material kontrolliert. Liegt nun das MEN1-Gen in einer veränderten Form vor, kann auch das Protein Menin nicht mehr korrekt funktionieren und es kommt zur Tumorentstehung.

Die MEN1 tritt bei etwa einem von 20.000-40.000 Menschen auf und wird meist von den Eltern an ihre Kinder weitergegeben. Der Erbgang ist dabei autosomal-dominant. Den verbleibenden Fällen (etwa 10%) liegt eine Spontan- oder Neumutation, man nennt das eine de novo Mutation, zu Grunde.

Gibt es eine Therapie?

Die Therapieempfehlungen bei der MEN1 richten sich nach der vorliegenden Erkrankung:

Tumore der Nebenschilddrüsen und PHPT

  • Vollständige oder teilweise Entfernung der Nebenschilddrüsen (über Umfang und Zeitpunkt wird kontrovers diskutiert)

Hypophysentumore

  • Prolaktinom: Dopamin-Agonisten (Cabergolin, Bromocriptin, Pergolid und Quinagolid)
  • GH-produzierende Tumore: Operation, Somatostatin-Analoga
  • ACTH-produzierende Tumore: Operative Entfernung des Tumors, Radiotherapie

Gut differenzierte endokrine Tumore des Magen-Darm-Traktes und der Bauchspeicheldrüse

  • Gastrinom: Protonenpumpenhemmer (PPI), H2-Rezeptorblocker. Operatives Vorgehen wird kontrovers diskutiert.
  • Insulinom: Operative Therapie
  • Gastrinom: Die optimale Therapie wird kontrovers diskutiert und richtet sich v.a. nach Streuungsgrad und Operabilität des Tumors

Karzinoide

  • Wenn möglich, vollständige Entfernung. Sonst langwirksame Somatostatin-Analoga, ggf. Strahlen- oder Chemotherapie

Nebennierenrindentumore

  • Operative Therapie bei Tumoren > 4cm Durchmesser, auffälligen radiologischen Zeichen oder signifikantem Größenwachstum

Diagnose Multiple endocrine neoplasia type 1. Wie geht es weiter?

Nach der Diagnose wenden Sie sich bitte unbedingt an eine:n Spezialist:in für dieses Krebsprädispositionssyndrom. Im folgenden Abschnitt schildern wir Ihnen, ob Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung oder andere Maßnahmen erforderlich sind und wie diese erfolgen sollten. Zudem geben wir Ihnen ein paar Tipps, was Sie selber tun können. Bei Fragen wenden Sie sich bitte jederzeit an uns oder Ihren behandelnden Arzt oder Ihre behandelnde Ärztin.

Diagnose Multiple endocrine neoplasia type 1. Wie geht es weiter?

Nach der Diagnose wenden Sie sich bitte unbedingt an eine:n Spezialist:in für dieses Krebsprädispositionssyndrom. Im folgenden Abschnitt schildern wir Ihnen, ob Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung oder andere Maßnahmen erforderlich sind und wie diese erfolgen sollten. Zudem geben wir Ihnen ein paar Tipps, was Sie selber tun können. Bei Fragen wenden Sie sich bitte jederzeit an uns oder Ihren behandelnden Arzt oder Ihre behandelnde Ärztin.

Medizinische Maßnahmen zur Früherkennung

Hinsichtlich der verschiedenen Erkrankungen, die im Rahmen einer MEN1 auftreten können, werden unterschiedliche Früherkennungsuntersuchungen durchgeführt:

Insulinom

  • Screening-Start mit 5 Jahren
  • Klinik: Bewusstlosigkeit, Benommenheit, dokumentierte Unterzuckerung?
  • Labor (jährlich): Nüchtern-Glukose und Insulin

Neuroendokrine Tumore der Adenohypophyse (PitNET)

  • Screening-Start mit 5 Jahren
  • Klinik: Kopfschmerzen, Sehveränderungen, Milchfluss, gesteigertes Wachstum?
  • Labor (jährlich): Prolactin, IGF-1
  • Bildgebung: MRT des Kopfes alle 3 Jahre

Nebenschilddrüsenadenom und PHPT

  • Screening-Start mit 8 Jahren
  • Klinik: Rückenschmerzen, Knochenschmerzen, Schwächegefühl, Müdigkeit, psychologische Veränderungen, Nierensteine, Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, multiple oder pathologische Frakturen?
  • Labor (jährlich): Kalzium

Neuroendokrine Tumore der Bauchspeicheldrüse

  • Screening-Start mit 10 Jahren
  • Klinik: Meist asymptomatisch; VIPom: Übermäßiger Durchfall?; Glukagonom: Überzuckerung, Übelkeit, erhöhte Urinausscheidung, Durst?
  • Labor (jährlich): Evtl. Chromogranin A, Glukagon, Proinsulin, pankreatisches Polypeptid, VIP
  • Bildgebung: MRT des Bauches jährlich

Nebennierenadenome

  • Screening-Start mit 10 Jahren
  • Bildgebung: MRT des Bauches (zeitgleich mit Bildgebung der Bauchspeicheldrüse)

Thymus-, Bronchus- und Magen-Karzinoide

  • Screening-Start mit 20 Jahren
  • Klinik: Meist symptomlos; Erröten, Durchfall, pfeifende Atmung, Ödeme oder Bauchmerz können hinweisend sein
  • Bildgebung: CT/MRT-Lunge und -Bauch alle 1-2 Jahre

Gastrinom

  • Screening-Start mit 20 Jahren
  • Klinik: Bauchschmerzen, Magengeschwür, Einnahme von Protonenpumpenhemmern?
  • Labor (jährlich): Nüchtern-Gastrin

Multiple endocrine neoplasia type 1 – was Sie selber tun können

Darauf sollten Sie achten

Sie sollten eine:n Ärzt:in aufsuchen, sobald Benommenheit, Bewusstlosigkeit, Schwächegefühl, Müdigkeit, aber auch Heißhungerattacken oder vermehrter Durst auftreten. Dies können Zeichen von Über- oder Unterzuckerung sowie anderen hormonellen Störungen sein. Daneben sollten Sie bei Beschwerden des Magen-Darm-Traktes wie Durchfall, Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen bei einem Arzt oder einer Ärztin vorstellig werden. Kommt es zu weiteren neu auftretenden Auffälligkeiten oder Beschwerden wie beispielsweise Knochen- oder Rückenschmerzen, Kopfschmerzen oder Sehstörungen, sollten diese ebenfalls möglichst rasch abgeklärt werden.

Weitere Informationen

Außerdem können sich Patient:innen jederzeit für das KPS-Register anmelden oder dies durch die betreuenden Ärztinnen und Ärzte vornehmen lassen.

Weitere Fragen?

Wir sind für Sie per E-Mail und telefonisch erreichbar. Zudem können Sie persönlich in unsere Sprechstunden kommen. Weitere Informationen entnehmen Sie am besten unserer Kontaktseite.