Was ist das Retinoblastom?

Das Retinoblastom ist ein bösartiger Tumor der unreifen Netzhaut des Auges, der auf Mutationen, also Veränderungen des Erbgutes, im RB1-Gen beruht und in der Regel vor dem 5. Lebensjahr auftritt. Dabei kann der Tumor nur ein Auge oder auch beide Augen betreffen. Bei der erblichen Form des Retinoblastoms besteht daneben ein erhöhtes Risiko für das Auftreten bösartiger Hirntumoren, in den meisten Fällen handelt es sich dabei uns das Pineoblastom. Des Weiteren können im Verlauf Zweittumore auftreten wie bösartige Knochen- oder Weichteiltumore (Osteosarkom bzw. Weichteilsarkom), Tumore der Nasenhöhle, des Auges und der Augenhöhle, bösartige Hauttumore (Melanome) sowie Hirntumore.

Wie wird die Diagnose Retinoblastom gestellt?

Klinische Diagnostik

Der Verdacht auf ein Retinoblastom besteht, wenn bei einer Person einer oder mehrere der folgenden Befunde vorliegt bzw. vorliegen:

  • Leukokorie (weißliches Aufleuchten der Pupille)

  • Strabismus (Schielen)

  • Verändertes Aussehen des Auges

  • Reduzierte Sehkraft

Durch eine augenärztliche Untersuchung kann die Diagnose „Retinoblastom“ klinisch gesichert werden.

Genetische Diagnostik

Der Verdacht auf ein erbliches Retinoblastom besteht bei folgenden Befunden:

  • Jeder Patient mit der Diagnose „Retinoblastom“, einschließlich einseitiger und beidseitiger Beteiligung

  • Patient mit Retinom (gutartiger Netzhauttumor, der auch auf einer Mutation im RB1-Gen beruht; kann Vorläufer eines Retinoblastoms sein)

  • Person, in deren Familie bereits ein Retinoblastom aufgetreten ist

Durch genetische Testung wird die Diagnose “Erbliches Retinoblastom” gesichert. Dabei wird untersucht, ob eine Mutation, also eine Veränderung des RB1-Gens vorliegt.  Da es sich um eine erbliche Erkrankung handelt, sollten blutsverwandte Familienmitglieder einer Person mit nachgewiesener Mutation ebenfalls genetisch getestet werden.

Weitere klinische Merkmale

Klinisch wird differenziert zwischen uni-, bi- und trilateralem Retinoblastom.

Unilaterales Retinoblastom:

Bei dieser Form ist nur ein Auge betroffen. Insgesamt liegt bei etwa 60% aller Retinoblastom-Patienten ein einseitiges Retinoblastom vor, bei nur 10-15% der Patienten mit erblichem Retinoblastom tritt die Erkrankung einseitig auf. Das durchschnittliche Alter bei Diagnosestellung liegt bei 24 Monaten.

Bilaterales Retinoblastom:

Bei dieser Form sind beide Augen betroffen. Insgesamt liegt bei etwa 40% aller Retinoblastom-Patienten ein beidseitiges Retinoblastom vor, bei der Mehrzahl der Patienten mit erblichem Retinoblastom tritt die Erkrankung beidseitig auf. Das durchschnittliche Alter bei Diagnosestellung liegt bei 15 Monaten. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung sind meist bereits beide Augen betroffen.

Trilaterales Retinoblastom:

Bei dieser Form tritt neben dem beidseitigen (oder selten einseitigen) Retinoblastom ein bösartiger Hirntumor auf. Dabei handelt es sich meist um ein Pineoblastom, beschrieben sind jedoch auch Tumoren, die zentral in der mittleren Schädelgrube lokalisiert sind.

Weitere Tumore:

Bei Patienten mit Retinoblastom besteht ein erhöhtes Risiko für das Auftreten weiterer außerhalb des Auges lokalisierter Tumore, sogenannte Zweittumore. Dabei handelt es sich um:

  • Osteosarkome (bösartige Knochentumore)

  • Weichteilsarkome, meist Leiomyosarkome (bösartige Tumore der glatten Muskulatur) oder Rhabdomyosarkome (bösartige Weichteiltumore)

  • Melanome (bösartige Tumore der Haut, sogenannter „schwarzer Hautkrebs“)

Diese entwickeln sich meist im Jugend- oder Erwachsenenalter. Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Zweittumoren ist deutlich erhöht bei Retinoblastom-Patienten, die zuvor eine perkutane Strahlentherapie erhalten haben.

Wie hoch ist das Krebsrisiko?

Liegt eine Mutation auf beiden Allelen, also beiden Kopien des RB1-Gens vor, kommt es in 90-95% der Fälle zur Entwicklung eines Retinoblastoms. Dieses ist bei der erblichen Form in der Regel bilateral, es betrifft also beide Augen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Patienten mit einem bilateralen Retinoblastom zusätzlich einen bösartigen Hirntumor, meist ein Pineoblastom, entwickeln, beträgt etwa 5%. Die Wahrscheinlichkeit wird für Patienten, die keine Bestrahlung erhalten haben, mit <2% angegeben. Die Überlebensrate für Patienten mit im Auge lokalisierten Retinoblastom liegt durch frühe Diagnosestellung und adäquate Behandlung bei >95%.

Das Risiko für die Entwicklung von Zweittumoren ist abhängig davon, ob zuvor eine perkutane Bestrahlung durchgeführt wurde oder nicht. Die Wahrscheinlichkeit, einen Zweittumor bis zum 50. Lebensjahr zu entwickeln, beträgt bei Patienten mit vorausgegangener Bestrahlung 38%, bei Patienten ohne stattgehabte Bestrahlungstherapie 21%. Das durchschnittliche Alter bei dem Auftreten eines Zweittumors liegt zwischen 15 und 17 Jahren.

Wodurch entsteht das Retinoblastom?

Dem Retinoblastom liegt eine Mutation, also eine Veränderung des RB1-Gens zugrunde. Dieses kodiert für das RB-Protein, welches ein wichtiger Teil in der Zell-Regulation ist. Durch dieses Protein wird in unseren Zellen beschädigte Erbinformation nicht weiter vervielfältigt, was einen Schutzmechanismus unseres Körpers darstellt. Liegt das Gen aber in mutierter Form vor, wird das entsprechende Protein nicht oder nicht korrekt hergestellt und kann seine Funktion damit nicht erfüllen, wodurch es folglich zur Entstehung von Tumoren kommt.

Bei etwa 40% der Patienten liegt die erbliche Form des Retinoblastoms vor. In unserem Körper liegt jedes Gen doppelt vor, wir besitzen also pro Gen zwei Allele. Diese Patienten haben ein mutiertes Allel des RB1-Gens, sie sind damit heterozygot. In 80% der Fälle stammt diese Mutation aus einer Neumutation, sogenannte de novo Mutation, der Eizelle der Mutter oder der Samenzelle des Vaters. Damit es zur Entstehung des Retinoblastoms kommt, müssen jedoch beide Allele des RB1-Gens mutiert sein. Liegt bereits die erste o.g. Mutation vor, kommt es in etwa 95% der Fälle zu einer zweiten Mutation in den Netzhautvorläuferzellen, so dass dadurch auch das zweite Allel des RB1-Gens mutiert ist, wodurch es zur Entstehung des Retinoblastoms kommt.

Es handelt sich bei der erblichen Form des Retinoblastoms um einen autosomal-dominanten Erbgang, wobei die Mutation eines Allels von einem Elternteil geerbt wird und die Mutation des anderen Allels in den Netzhautvorläuferzellen spontan entsteht.

Gibt es eine Therapie?

Die Behandlung des Retinoblastoms ist von vielen Faktoren abhängig und sollte in Zusammenarbeit von Kinderonkologen, Augenärzten, Pathologen und Strahlentherapeuten geplant und durchgeführt werden. Dabei geht es zunächst um die Entfernung des Tumors zur Sicherung des Überlebens und dies möglichst unter Erhalt der Sehfähigkeit und weiter um die Vermeidung von Zweittumoren. Die Wahl der Therapie variiert je nach Tumorstadium, Lokalisation und Größe des Tumors, Anzahl der Tumore, Auftreten und Art der nicht im Auge lokalisierten Tumoren sowie verfügbaren Ressourcen. Therapieoptionen bestehen in lokaler und systemischer Chemotherapie, Kältetherapie, Lasertherapie, interner Strahlentherapie, Entfernung des Augapfels und als letzte Option kann die perkutane Strahlentherapie angewandt werden.

Wenn möglich, sollte jede Form von ionisierender Strahlung einschließlich Röntgen, CT und perkutaner Bestrahlung vermieden werden, um das Risiko für Zweittumore möglichst gering zu halten.

Gibt es Maßnahmen zur Früherkennung von Krebserkrankungen?

Genetische Beratung

Diese spielt bei Patienten mit einem erblichen Retinoblastom eine große Rolle v.a. im Hinblick auf Vorsorgeuntersuchungen und das Risiko für die Entwicklung von Zweittumoren sowie bei der Betreuung von Geschwistern. Des Weiteren sollte eine genetische Beratung erneut durchgeführt werden, wenn Überlebende eines Retinoblastoms ins gebärfähige Alter kommen.

Untersuchungen zur Früherkennung

Für Patienten mit erblichem Retinoblastom oder positiver Familienanamnese (d.h. mindestens ein Familienmitglied ist am Retinoblastom erkrankt) werden folgende Untersuchungen vorgeschlagen:

Vorsorge von Retinoblastomen im Auge

< Tabelle seitlich verschiebbar >
Alter Frequenz
Geburt bis 8 Wochen Untersuchungen ohne Sedierung alle 2 bis 4 Wochen
8 Wochen bis 12 Monate Untersuchungen unter Sedierung monatlich
12 bis 24 Monate Untersuchungen unter Sedierung alle 2 Monate
24 bis 36 Monate Untersuchungen unter Sedierung alle 3 Monate
36 bis 48 Monate Untersuchungen unter Sedierung alle 4 Monate
48 bis 60 Monate Untersuchungen unter Sedierung alle 6 Monate
5 bis 7 Jahre Untersuchungen ohne Sedierung alle 6 Monate
< Tabelle seitlich verschiebbar >

Vorsorge trilateraler Retinoblastome (Retinoblastom im Auge + Hirntumor)

  • MRT des Kopfes zum Zeitpunkt der Diagnose

  • Einige Zentren empfehlen MRT des Kopfes alle 6 Monate bis zum Alter von 5 Jahren

Vorsorge von Zweittumoren

  • Patienten werden hinsichtlich des Risikos für Zweittumore aufgeklärt und darauf hingewiesen, dass sie neu auftretende Zeichen oder Symptome wahrnehmen und sich daraufhin bei einem Arzt vorstellen sollten.

  • Untersuchungen der Haut sollten im Rahmen regulärer Vorsorgeuntersuchungen im Kindesalter durchgeführt werden. Diese sollten jährlich fortgesetzt werden durch den Hausarzt oder einen Dermatologen.

  • Einige Zentren empfehlen jährliche Ganzkörper-MRT- Untersuchungen ab 8 Jahren.

Diagnostik vor der Geburt

Aufgrund geringer Daten ist bisher keine standardisierte Empfehlung verfügbar.

Nach heutigem Kenntnisstand ist für Patienten, bei denen die Tumordisposition bereits pränatal festgestellt wurde, kein günstigeres Ergebnis in Bezug auf die Therapie-bedingten Folgen zu erwarten. Eine diesbezüglich motivierte pränatale Diagnostik wird in Deutschland daher nicht empfohlen.

Bei der Untersuchung der Augen im Rahmen der U1-Untersuchung sollte auf möglicherweise schon erkennbare Zeichen eines Retinoblastoms (Leukokorie, Strabismus) geachtet werden. Die erste ophthalmologische Untersuchung zur dezidierten Früherkennung von Retinoblastomen sollte in einem auf Retinoblastome spezialisierten Zentrum für Augenheilkunde innerhalb von 14 Tagen nach der Geburt erfolgen.

Ophthalmologische Untersuchungen zur Früherkennung sind nicht erkennbar erforderlich, wenn durch eine prädiktive Diagnostik direkt nach der Geburt ausgeschlossen werden konnte, dass das Kind die in der Familie bekannte krankheitsursächliche Veränderung geerbt hat (gezielte Untersuchung). Dazu sollte die Einverständniserklärung der Eltern bereits pränatal eingeholt werden, so dass bei Geburt Nabelschnurvenenblut für die genetische Diagnostik abgenommen werden kann. Ein Befundbericht liegt bei den meisten krankheitsursächlichen Veränderungen innerhalb von 1 Woche vor und damit vor dem Termin der ansonsten erforderlichen ersten ophthalmologischen Untersuchung in einem auf Retinoblastome spezialisierten Zentrum.

Selbstfürsorge und Selbsthilfe

Worauf sollte ich besonders achten?

Wenn möglich, sollte jede Form von ionisierender Strahlung einschließlich Röntgen, CT und perkutaner Bestrahlung vermieden werden, um das Risiko für Zweittumore möglichst gering zu halten.

Patienten, die ein Retinoblastom überlebt haben, sollten bei neu auftretenden Beschwerden oder Symptomen jeglicher Art unbedingt einen Arzt aufsuchen, um etwaige Zweittumore möglichst früh erkennen und behandeln zu können.

Des Weiteren sollten Patienten, die ein Retinoblastom überlebt haben, im gebärfähigen Alter unbedingt eine genetische Beratung wahrnehmen.

Selbsthilfegruppen