Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 – Definition

Die multiple endokrine Neoplasie Typ 2 (MEN2) beinhaltet die MEN2A (OMIM #171400), das familiäre medulläre Schilddrüsenkarzinom (FMTC, OMIM #155240) und die MEN2B (OMIM #162300). Alle drei Entitäten basieren auf Mutationen im RET-Protoonkogen und prädisponieren für das medulläre Schilddrüsenkarzinom (MTC) und das Phäochromozytom (PHEO). Daneben kann es bei MEN2A zu Nebenschilddrüsenadenomen oder -hyperplasie mit primärem Hyperparathyreoidismus (PHPT) kommen. Bestimmte Mutationen zeigen eine Kombination aus MEN2A und kutaner Lichenamyloidose bzw. Morbus Hirschsprung.

Synonyme:

MEN2A: Sipple-Syndrom

MEN2B: Mucosal neuroma syndrome, Wagenmann-Froböse-Syndrom

Gen:

RET

Gen­produkte:

RET

Funktion:

Tyrosinkinase-Rezeptor, der Wachstums- und Differenzierungssignale von intra- nach extrazellulär und intrazellulär vermittelt. Bei der MEN2 kommt es durch Mutationen zu einer „gain of function“, also einer gesteigerten Enzymaktivität.

Erb­gang:

autosomal-dominant

MEN2A 9% de novo Mutationen, MEN2B 50% de novo Mutationen

Prävalenz:

MEN2 gesamt 1:35.000 – 1:40.000

91% MEN2A (davon 35% isolierte FMTC), 9% MEN2B

Genotyp-Phänotyp-Korrelation:

Mutationen in Codon 918 gelten als „Highest risk“ für MTC; assoziiert mit der Mehrzahl der Fälle mit MEN2B; kein PHPT

Mutationen in Codon 883 gelten als „High risk“ für MTC; assoziiert mit MEN2B inkl. mukosalen Neuromen und PHEO

Mutationen in Codon 634 gelten als „High risk“ für MTC, PHEO und PHPT

Mutationen in Codons 634 und 804 sind assoziiert mit der kutanen Lichenamyloidose

Mutationen in Codons 609, 611, 618 und 620 sind assoziiert mit Morbus Hirschsprung

Penetranz:

MEN2A: MTC 95%, PHEO 50%, Nebenschilddrüsenadenom 20-30%

FMTC: MTC 100%, PHEO, 0%, Nebenschilddrüsenadenom 0%

MEN2B: MTC 100%, PHEO 50%, Nebenschilddrüsenadenom selten

Übersicht der Kapitel auf dieser Seite:

  • Wie hoch ist das Krebsrisiko?

  • Was ist über die Entstehung bekannt?

  • Gibt es eine Therapie?

  • Medizinische Maßnahmen zur Früherkennung

  • Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 – was Sie selber tun können
  • Links (z.B. von Selbst­hilfe­gruppen) und weitere Informationen
  • Klinische Präsentation

  • Besonderheiten bei der Behandlung

  • Empfehlungen zur Früherkennung bei Ihren Patient:innen

  • Weitere Informationen (z.B. Links von Selbsthilfegruppen)

Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 – Diagnosestellung

Klinische Diagnosekriterien

MEN2A:

Auftreten von mindestens zwei spezifischen endokrinen Tumoren (MTC, PHEO, Nebenschilddrüsenadenom/PHPT) bei einer Person oder bei nahen Verwandten

MEN2B:

Früh-auftretendes MTC, mukosale Neurome der Lippen und Zunge, myelinisierte Nervenfasern der Kornea, charakteristische Fazies mit verbreitertem Lippenrot und marfanoider Habitus.

Genetische Diagnostik

Die genetische Diagnostik hinsichtlich einer Mutation des RET-Gens ist indiziert bei allen Personen mit primärer C-Zell-Hyperplasie oder MTC oder bei der klinischen Diagnose MEN2. Ergibt sich aus der Sequenzanalyse ausgewählter Exons kein eindeutiges Ergebnis, kann die Sequenzanalyse des gesamten RET-Gens erfolgen. Auch der Einsatz von Panel-Untersuchungen, in denen mehrere Gene erfasst werden, kann sinnvoll sein.

Differentialdiagnosen

  • Sporadisches MTC
  • C-Zell-Hyperplasie mit erhöhten Calcitonin-Spiegeln z.B. aufgrund von chronischem Nierenversagen, Sepsis, neuroendokrinen Tumoren der Lunge oder des Gestrointestinaltraktes, Hypergastrinämie, Mastozytose, autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen und Typ 1A Pseudohypoparathyreoidismus
  • Von-Hippel-Lindau-Syndrom
  • Hereditäre Phäochromozytom/Paragangliom-Syndrome
  • TMEM127-assoziierte Prädisposition für Phäochromozytom
  • MAX-assoziierte Prädisposition für Phäochromozytom
  • Neurofibromatose Typ 1
  • Multiple endokrine Neoplasie Typ 1
  • Multiple endokrine Neoplasie Typ 4

Klinische Präsentation

Endokrine Erkrankungen, die bei der MEN2 auftreten sind das medulläre Schilddrüsenkarzinom (MTC), das Phäochromozytom (PHEO) und das Nebenschilddrüsenadenom bzw. der primäre Hyperparathyeroidismus (PHPT). MTC aufgrund von RET-Mutationen treten früher auf als sporadische MTC und betreffen etwa 25% aller MTC-Patienten. PHEO im Rahmen einer MEN2 sind nahezu immer im Bereich der Nebennieren lokalisiert und treten oft bilateral auf.

MEN2A

Bei etwa 95% der MEN2A-Patient:innen entwickelt sich ein MTC, welches sich typischerweise durch eine Raumforderung im Bereich des Halses und dort lokalisierte Schmerzen äußert. Meist tritt das MTC vor dem 35. Lebensjahr auf und es ist in 70% der Fälle zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits in die zervikalen Lymphknoten metastasiert.

Das PHEO tritt meist nach dem MTC oder zeitgleich auf, bei 13-27% der MEN2A-Patient:innen ist es die erste Manifestation. Im Rahmen einer MEN2A treten PHEO früher auf, sie zeigen weniger stark ausgeprägte Symptome und treten häufiger bilateral auf als sporadische Tumore. Etwa 4% der PHEO entwickeln eine Malignität.

Der Hyperparathyreoidismus im Rahmen einer MEN2A zeigt eine milde Ausprägung und verläuft oft asymptomatisch. Mit einem Durchschnittsalter bei Diagnose von 38 Jahren tritt der PHPT deutlich später auf als das MTC.

In einigen Familien tritt das MEN2A in Kombination mit einer kutanen Lichenamyloidose auf. Auch ein gleichzeitiges Auftreten von MEN2A und Morbus Hirschsprung ist bekannt.

FMTC

MTC treten beim FMTC später auf und die Penetranz für MTC ist geringer als bei MEN2A und MEN2B. Das FMTC wird als Variante der MEN2A gesehen mit geringer Penetranz für PHEO und PHPT.

MEN2B

Charakteristisch für die MEN2B ist das frühe Auftreten aggressiver MTC bei allen Patient:innen, sofern keine prophylaktische Thyreoidektomie durchgeführt wurde.

PHEO treten bei etwa 50% der Patient:innen auf und sind oft multipel und bilateral.

Die Nebenschilddrüsen sind bei der MEN2B nicht betroffen.

Im Rahmen einer MEN2B können ab dem Säuglings- oder frühen Kindesalter mukosale Neurome auftreten. Die dabei bestehende charakteristische Fazies ist geprägt von prominenten Lippen mit submukösen Knoten am Rand des Lippenrots. Daneben kann es zu Neuromen der Augenlider und verdickten Nerven der Kornea kommen.

Des Weiteren besteht bei 75% der MEN2B-Patient:innen ein marfanoider Habitus mit Kyphoskoliose oder Lordose, laxen Gelenken und geringem subkutanen Fettgewebe.

Etwa 40% der Betroffenen haben eine Ganglioneuromatose des Gastrointestinaltraktes, dessen Symptome meist im Säuglings- oder frühen Kindesalter auftreten.

Besonderheiten bei der Behandlung

Medulläres Schilddrüsenkarzinom

  • Standardtherapie ist die Thyreoidektomie mit Lymphadenektomie (Zeitpunkt je nach Mutation, siehe Früherkennungsempfehlungen) mit anschließender Hormonersatztherapie.
  • Bei unvollständiger Resektion kann eine ergänzende Radiotherapie in Erwägung gezogen werden.
  • Kinaseinhibitoren (Vandetanib und Cabozantinib) können bei nicht resektablen oder metastasierten Tumoren das Wachstum aufhalten.

Phäochromozytom

  • Adrenalektomie (nur in Ausnahmefällen prophylaktische bilaterale Adrenalektomie bei unilateralem Tumor)
  • Präoperative alpha-adrenerge Blockade bei PHEO mit Katecholaminsekretion

Nebenschilddrüsenadenom oder –hyperplasie

  • Jährliche Laborkontrollen bei Patienten, bei denen keine Parathyreoidektomie oder Autotransplantation durchgeführt wurde (Calcium, iPTH, 25-OH Vitamin D)
    • „High risk“-Mutationen: Ab 11 Jahren
    • „Moderate risk“-Mutationen: Ab 16 Jahren
    • „Highest risk“-Mutationen/MEN2B: Kein Screening erforderlich

Diagnose Multiple endokrine Neoplasie Typ 2. Wie geht es weiter?

Nach der Diagnose ist es ratsam, die Weiterbehandlung von betroffenen Patient:innen durch eine:n Spezialist:in für dieses Krebsprädispositionssyndrom durchführen zu lassen. Im folgenden Abschnitt schildern wir Ihnen, ob Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung oder andere Maßnahmen erforderlich sind und wie diese erfolgen sollten. Zudem finden Sie am Ende dieser Seite noch ein paar weiterführende Informationen wie z.B. die Links von Selbsthilfegruppen.

Diagnose Multiple endokrine Neoplasie Typ 2. Wie geht es weiter?

Nach der Diagnose ist es ratsam, die Weiterbehandlung von betroffenen Patient:innen durch eine:n Spezialist:in für dieses Krebsprädispositionssyndrom durchführen zu lassen. Im folgenden Abschnitt schildern wir Ihnen, ob Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung oder andere Maßnahmen erforderlich sind und wie diese erfolgen sollten. Zudem finden Sie am Ende dieser Seite noch ein paar weiterführende Informationen wie z.B. die Links von Selbsthilfegruppen.

Empfehlungen zur Früherkennung bei Ihren Patient:innen

Medulläres Schilddrüsenkarzinom

  • Thyreoidektomie ist Therapie der Wahl. Zeitpunkt der Operation und weitere Diagnostik richten sich nach der vorliegenden Mutation:
    • Highest risk“-Mutationen (Codon 918): Thyreoidektomie mit Neck-Dissection im ersten Lebensjahr
    • „High risk“-Mutationen (Codons 634 und 883): Thyreoidektomie bis zum 5. Lebensjahr, genauer Zeitpunkt abhängig vom Serum-Calcitonin-Spiegel
      Jährliche Sonographie der Schilddrüse und Serum-Calcitonin-Spiegel ab 3 Jahren
    • „Moderate risk“-Mutationen (alle anderen mit RET-Mutation): Thyreoidektomie im Kindes- oder jungen Erwachsenenalter, abhängig vom Serum-Calcitonin-Spiegel und Mutation
      Jährliche Sonographie der Schilddrüse und Serum-Calcitonin-Spiegel (Beginn abhängig von Mutation)
  • Bei 50% der MTC-Patient:innen tritt trotz totaler Thyreoidektomie und Neck-Dissection ein Rezidiv auf, daher werden postoperativ jährliche Serum-Calcitonin-Kontrollen empfohlen (höhere Frequenz bei bekanntem Rezidiv).

Phäochromozytom

  • Jährliche Laborkontrollen (freies Metanephrin und Normetanephrin im Plasma oder fraktioniertes Metanephrin im 24-Stunden-Urin)
    • „Highest risk“- und „High risk“-Mutationen: Ab 11 Jahren
    • „Moderate risk“-Mutationen: Ab 16 Jahren
  • MRT (oder CT) bei auffälligen Laborwerten
  • Bei Frauen mit MEN2 sollten vor einer geplanten Schwangerschaft ein Phäochromozytom ausgeschlossen werden. Bei bereits bestehender Schwangerschaft sollte die Diagnostik hinsichtlich eines Phäochromozytoms so rasch wie möglich erfolgen.

Nebenschilddrüsenadenom und –hyperplasie

  • Jährliche Laborkontrollen bei Patient:innen, bei denen keine Parathyreoidektomie oder Autotransplantation durchgeführt wurde (Calcium, iPTH, 25-OH Vitamin D)
    • „High risk“-Mutationen: Ab 11 Jahren
    • „Moderate risk“-Mutationen: Ab 16 Jahren
    • „Highest risk“-Mutationen/MEN2B: Kein Screening erforderlich

Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 – weitere Informationen