SAMD9L-Defizienz – Definition
Die SAMD9L-Defizienz, auch Ataxie-Panzytopenie-Syndrom (ATXPC; OMIM #159550), ist eine genetische Erkrankung, die auf Mutationen im SAMD9L-Gen beruht. Charakteristisch sind eine zerebelläre Ataxie, variable hämatologische Zytopenien sowie die Prädisposition für Knochenmarkversagen, myelodysplastisches Syndrom und akute myeloische Leukämie.
Synonyme:
Ataxie-Panzytopenie-Syndrom
Gen:
SAMD9L (sterile alpha motif domain containing 9-like gene)
Genprodukt:
SAMD9L
Funktion:
spielt eine Rolle in der Zellproliferation, am ehesten als Tumorsupressor
Erbgang:
autosomal-dominant
Prävalenz:
unbekannt
Genotyp-Phänotyp-Korrelation:
unbekannt
Penetranz:
inkomplett
Insgesamt ist das phänotypische Bild für hämatologische und neurologische Manifestationen sehr variabel.
SAMD9L-Defizienz – Diagnosestellung
Verdachtsdiagnose
Der Verdacht auf das Vorliegen eines ATXPC besteht bei Personen, die mehr als einen der folgenden Befunde aufweisen:
- Zerebelläre Ataxie
- Variable hämatologische Zytopenie mindestens einer Zelllinie (z.B. Anämie, Neutropenie, Thrombozytopenie)
- Myeloische Leukämie oder myelodysplastisches Syndrom mit partieller oder kompletter teils transienter Monosomie 7
- Zerebelläre Atrophie und Veränderungen der weißen Substanz im MRT
- Positive Familienanamnese für einen der o.g. Befunde
Genetische Diagnostik
Die Diagnose „SAMD9L-Defizienz“ wird gesichert durch den Nachweis einer heterozygoten Keimbahnmutation des SAMD9L-Gens durch eine Einzelgenanalyse (Sequenzanalyse) oder durch den Einsatz von Panel-Untersuchungen, in denen mehrere Gene erfasst werden.
In hämatopoetischen Zellen von Trägern einer SAMD9L-Mutation ist die Mutation „toxisch“. Der häufig beobachtete Verlust von genetischem Material von Chromosom 7 (z.B. Monosomie 7) in hämatopoetischen Zellen der Betroffenen führt zu einem Verlust des mutierten Alleles (Adaption-durch-Aneuploidie-Mechanismus). Daher kann es sinnvoll sein, nicht hämotopoetisches Gewebe für diagnostische Zwecke zu analysieren. Die häufig beobachtete Monosomie 7 scheint ein wichtiger Leukämogenese-Schritt in diesen Patient:innen zu sein.
Klinische Diagnostik
Um die Ausdehnung der Erkrankung festzustellen, sollte nach genetischer Diagnosestellung folgende klinische Diagnostik durchgeführt werden:
- Evaluation der medizinischen Vorgeschichte
- Klinische Untersuchung inkl. neurologischer Untersuchung
- Kraniale MRT
- Großes Blutbild
- Knochenmarkpunktion
Differentialdiagnosen
- Schwere aplastische Anämie
- Idiopathische thrombozytopenische Purpura
- x-chromosomale sideroblastische Anämie und Ataxie
- Ataxia-Teleangiectatica
- Fanconi-Anämie
- Dyskeratosis congenita
- MIRAGE-Syndrom (SAMD9-Defizienz)
Klinische Präsentation
Klinische Manifestationen treten meist erstmals in der Kindheit auf, jedoch zeigt sich hinsichtlich des Manifestationsalters als auch in Bezug auf die Schwere der neurologischen oder hämatologischen Erkrankungen eine große inter- und intrafamiliäre Variabilität. Hämatologische und neurologische Erkrankungen sind in der Schwere ihrer Ausprägung nicht konkordant.
Hämatologische Manifestationen
Das Auftreten sowie das Manifestationsalter hämatologischer Manifestationen sind sehr variabel. Das früheste Auftreten ist mit 3 Monaten beschrieben. Zytopenien aller Zelllinien können von mild bis sehr schwer variieren. Anämien treten in vielen Fällen auf, wohingegen eine Immundefizienz nur in einer Familie beschrieben ist. Daneben sind myelodysplastische Syndrome oder akute myeloische Leukämien (AML) beschrieben, die häufig mit einer partiellen oder kompletten Monosomie 7 assoziiert sind.
Neurologische Manifestationen
Bisher wurde bei allen Patienten mit SAMD9L-Mutation eine neurologische Manifestation diagnostiziert. Das Manifestationsalter ist sehr variabel mit einer Altersspanne vom Säuglingsalter bis 62 Jahren. Klinisch äußert sich die zerebelläre Ataxie meist als horizontaler und vertikaler Nystagmus, Dysmetrie, gesteigerte Sehnenreflexe sowie einen leicht auslößbaren Fußklonus. Bei einigen Patienten konnte ein positiver Babinski-Reflex beobachtet werden. Das beeinträchtigte Gangbild und andere neurologische Auffälligkeiten sind in der Regel langsam fortschreitend. Radiologisch zeigen sich eine Kleinhirnatrophie und Veränderungen der weißen Substanz.
Besonderheiten bei der Behandlung
Die Behandlung von Patient:innen mit SAMD9L-Defizienz sollte interdisziplinär erfolgen und eine Diskussion mit der EWOG-MDS Studienleitung ist sinnvoll.
Hämatologische Manifestationen
- Bei Thrombozytopenie sollten NSAID, Antikoagulantien und thrombolytisch wirkende Substanzen vermieden werden.
- Je nach Schwere der Zytopenie Gabe von Erythrozyten- bzw. Thrombozytenkonzentraten
- Behandlung anderer Anämieursachen z.B. durch Eisen- oder Vitaminsubstitution
- Die Therapie einer myeloischen Neoplasie bei Patient:innen mit einer SAMD9L-Mutation sollte eingehend mit der entsprechenden Studienzentrale diskutiert werden.
- Eine Knochenmarktransplantation kann eine Option, insbesondere bei Patient:innen mit myeloischer Neoplasie darstellen.
Neurologische Manifestationen
Die Behandlung der Ataxie ist rein supportiv, da bisher keine Therapie verfügbar ist, die einen Progress der Erkrankung verlangsamen oder anhalten kann.
- Alkohol und sedierende Medikamente sollten vermieden werden, da diese Gang und Koordination zusätzlich beeinträchtigen.
- Patient:innen sollten so lange wie möglich mobil bleiben. Dabei können Gehilfen Stürze verhindern.
- Gewichtskontrolle, da Übergewicht die Mobilität zusätzlich einschränkt
Diagnose SAMD9L-Defizienz. Wie geht es weiter?
Nach der Diagnose ist es ratsam, die Weiterbehandlung von betroffenen Patient:innen durch eine:n Spezialist:in für dieses Krebsprädispositionssyndrom durchführen zu lassen. Im folgenden Abschnitt schildern wir Ihnen, ob Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung oder andere Maßnahmen erforderlich sind und wie diese erfolgen sollten. Zudem finden Sie am Ende dieser Seite noch ein paar weiterführende Informationen wie z.B. die Links von Selbsthilfegruppen.
Diagnose SAMD9L-Defizienz. Wie geht es weiter?
Nach der Diagnose ist es ratsam, die Weiterbehandlung von betroffenen Patient:innen durch eine:n Spezialist:in für dieses Krebsprädispositionssyndrom durchführen zu lassen. Im folgenden Abschnitt schildern wir Ihnen, ob Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung oder andere Maßnahmen erforderlich sind und wie diese erfolgen sollten. Zudem finden Sie am Ende dieser Seite noch ein paar weiterführende Informationen wie z.B. die Links von Selbsthilfegruppen.
Empfehlungen zur Früherkennung bei Ihren Patient:innen
Folgende Untersuchungen sollten durchgeführt werden:
- Großes Blutbild jährlich, bei instabilem Blutbild häufiger
- Eine Knochenmarkpunktion 1x pro Jahr sollte erwogen werden (mit Stanze, Aspirat, Zytogenetik)
- Schulung des Patient:innen/der Familie hinsichtlich der Symptome, die auf eine Zytopenie hindeuten (z.B. Müdigkeit, Blässe, Blutungen, rezidivierende Infekte)
- Jährliche klinische Untersuchung v.a. im Hinblick auf Gang, Koordination und Sprache