Tyrosinämie Typ 1 – Definition

Die Tyrosinämie Typ I (OMIM #276700) ist eine genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung, die auf Mutationen im FAH-Gen beruht. Unbehandelt führt sie meist innerhalb des ersten Lebensjahres zu akutem Leberversagen und einer renal tubulären Dysfunktion mit Wachstumsstörungen und Rachitis sowie neurologischen Krisen. Ohne adäquate Behandlung verläuft die Erkrankung innerhalb der ersten Lebensdekade tödlich. Durch die Therapie mit Nitisinon und der Einhaltung einer Tyrosin-armen Diät liegt die Überlebensrate jedoch bei über 90%.

Synonyme:

FAH-Mangel, Hepatorenale Tyrosinämie

Gen:

FAH

Gen­produkt:

FAH (Fumarylacetoacetase)

Funktion:

FAH katalysiert den letzten Schritt des Abbaus der Aminosäure Tyrosin. Ein FAH-Mangel führt

  • zu einer Akkumulation von Fumarylacetoacetat (FAA) in Hepatozyten und verursacht Zellschädigung und Apoptose
  • über den fehlerhaften Abbau von FAA zur Bildung von Succinylacetoacetat und Succinylaceton, welches
    • zum einen zu einer herabgesetzten Enzymaktivität der Hydroxyphenylpyruvat-Dioxygenase (HPPD) und damit zu erhöhten Tyrosin-Spiegeln führt

    • zum anderen zu einer herabgesetzten Enzymaktivität der δ-Aminolävulinsäure (δ-ALA)-Dehydratase führt, was eine Akkumulation von δ-ALA zur Folge hat, was wiederum zu Nervenschädigungen führt

Erb­gang:

autosomal-rezessiv

Prävalenz:

geschätzt etwa 1:100.000 – 1:120.000

deutlich höher in Skandinavien (1:75.000) und Finnland (1:60.000), sowie in Québec, Kanada (1:16.000)

Frequenz der Anlageträger in den USA liegt bei etwa 1:150 – 1:100

Genotyp-Phänotyp-Korrelation:

keine bekannt

Penetranz:

unbekannt

Übersicht der Kapitel auf dieser Seite:

  • Wie hoch ist das Krebsrisiko?

  • Was ist über die Entstehung bekannt?

  • Gibt es eine Therapie?

  • Medizinische Maßnahmen zur Früherkennung

  • Tyrosinämie Typ 1 – was Sie selber tun können
  • Links (z.B. von Selbst­hilfe­gruppen) und weitere Informationen
  • Klinische Präsentation

  • Besonderheiten bei der Behandlung

  • Empfehlungen zur Früherkennung bei Ihren Patient:innen

  • Weitere Informationen (z.B. Links von Selbsthilfegruppen)

Tyrosinämie Typ 1 – Diagnosestellung

Verdachtsdiagnose

Der Verdacht auf eine Tyrosinämie Typ I besteht bei dem Vorliegen folgender Befunde:

  • Erhöhte Tyrosinspiegel im Neugeborenenscreening
  • Schwere Lebererkrankung im jungen Säuglingsalter
  • Zeichen einer Nierenerkrankung, Rachitis und/oder neurologische Krisen bei Kindern >6 Monate

Laborchemische Diagnostik

  • Erhöhte Succinylaceton-Konzentration im Blut und Urin
  • Erhöhte Plasmakonzentration von Tyrosin, Methionin und Phenylalanin
  • Erhöhte Urinkonzentration von Tyrosin-Metaboliten und δ-Aminolävulinsäure
  • Massiv erhöhte Konzentration von alpha-Fetoprotein (AFP) und prolongierte Prothrombin- und partielle Thromboplastin-Zeit als Zeichen einer Leberfunktionsstörung bei unbehandelter Tyrosinämie Typ I

Genetische Diagnostik

Die Diagnose „Tyrosinämie Typ I“ wird gesichert durch den Nachweis einer biallelischen Keimbahnmutation des FAH-Gens durch Sequenz- sowie Deletions-/Duplikationsanalyse.

Differentialdiagnosen

Andere Stoffwechselerkrankungen, die mit Leberschädigungen einhergehen, z.B.:

  • Tyrosinämie Typ II
  • Tyrosinämie Typ III
  • Galaktosämie
  • Fruktose-1,6-Bisphosphatase-Mangel
  • Neonatale Hämochromatose
  • Morbus Wilson
  • Angeborene Glykosilierungsstörungen

Andere Lebererkrankungen:

  • Bakterielle Infektionen (Sepsis, Salmonellose, Tuberkulose)
  • Virale Infektionen (CMV, Hepatitis A/B, Herpes)

Nebenwirkungen von Medikamenten

Andere Nierenerkrankungen:

  • Lowe-Syndrom
  • Zystinose
  • Renal tubuläre Azidose
  • Fanconi-Syndrom

Andere Ursachen einer Rachitis:

  • Hypophosphatasie
  • Vitamin-D-Mangel

Andere Ursachen für neurologische Krisen:

  • Zerebrale Hämorrhagie/Ödem
  • Bakterielle/virale Meningitis
  • Hypernatriämische Dehydratation
  • Akute intermittierende Porphyrie

Klinische Präsentation

Unbehandelte Tyrosinämie Typ I

Kinder mit einer Tyrosinämie Typ I, die nicht im Neugeborenenscreening detektiert wurden, fallen in der Regel im frühen Säuglingsalter durch eine schwere Leberbeteiligung oder später im ersten Lebensjahr durch eine Leberdysfunktion, Nierenbeteiligung, Wachstumsstörung und Rachitis auf. Unbehandelt führt die Tyrosinämie Typ I innerhalb der ersten Lebensdekade zum Tod.

Leberbeteiligung:

Nicht diagnostiziert und unbehandelt führt die Tyrosinämie Typ I typischerweise zu einem akuten Leberversagen innerhalb der ersten 6 Lebensmonate. Dabei zeigt sich initial ein Verlust der Synthesefunktion der Gerinnungsfaktoren. Die Transaminasen sind dagegen nur leicht erhöht und auch der Bilirubinspiegel kann normal bis nur leicht erhöht sein. Diese paradoxe Konstellation unterscheidet die Tyrosinämie Typ I von anderen schweren Lebererkrankungen.
Weiterhin haben unbehandelte Kinder nach überlebtem akuten Leberversagen ein deutlich erhöhtes Risiko für hepatozelluläre Karzinome.

Nierenbeteiligung:

Eine Nierenbeteiligung zeigt sich bei unbehandelten Kindern meist erst nach dem 6. Lebensmonat in Form einer Dysfunktion der Nierentubuli. Diese führt zu einer generalisierten Aminoazidurie und einem Phosphatverlust, welcher die Ursache für eine Rachitis sein kann sowie einer renal tubulären Azidose.

Neurologische Krisen:

Bei unbehandelten Kindern können wiederholt neurologische Krisen auftreten. Diese gleichen einer akuten intermittierenden Porphyrie mit Symptomen wie Verhaltensänderungen, Bauchschmerzen, peripherer Neuropathie und respiratorischer Dysfunktion bis hin zur Beatmungspflichtigkeit.

Behandelte Tyrosinämie Typ I

Die Kombination aus Nitisinon-Therapie und Tyrosin-reduzierter Diät führt zu einer Überlebensrate von >90%, normalem Wachstum, einer verbesserten Leberfunktion, Prävention einer Zirrhose, Korrektur der renal tubulären Azidose und Verhinderung sekundärer Rachitis.

Neurologische Krisen:

Diese wurden nur bei Patienten mit längerer Therapieunterbrechung beobachtet.

Leberbeteiligung:

Ein akutes Leberversagen verbessert sich meist innerhalb der ersten Woche nach begonnener Nitisinon-Therapie. Das Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom liegt bei <5% bis zum Alter von 10 Jahren für Patienten, bei denen vor dem 2. Lebensjahr mit einer Nitisinon-Therapie begonnen wurde.

Besonderheiten bei der Behandlung

Eine Nitisinon-Therapie sollte unmittelbar nach Diagnosestellung begonnen werden. Daneben ist die Einhaltung einer Tyrosin-armen Diät ebenfalls ab Diagnosestellung erforderlich.

Bei fehlendem Therapieansprechen auf Nitisinon oder malignen Veränderungen der Leber kann eine Lebertransplantation in Erwägung gezogen werden.

Diagnose Tyrosinämie Typ 1. Wie geht es weiter?

Nach der Diagnose ist es ratsam, die Weiterbehandlung von betroffenen Patient:innen durch eine:n Spezialist:in für dieses Krebsprädispositionssyndrom durchführen zu lassen. Im folgenden Abschnitt schildern wir Ihnen, ob Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung oder andere Maßnahmen erforderlich sind und wie diese erfolgen sollten. Zudem finden Sie am Ende dieser Seite noch ein paar weiterführende Informationen wie z.B. die Links von Selbsthilfegruppen.

Diagnose Tyrosinämie Typ 1. Wie geht es weiter?

Nach der Diagnose ist es ratsam, die Weiterbehandlung von betroffenen Patient:innen durch eine:n Spezialist:in für dieses Krebsprädispositionssyndrom durchführen zu lassen. Im folgenden Abschnitt schildern wir Ihnen, ob Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung oder andere Maßnahmen erforderlich sind und wie diese erfolgen sollten. Zudem finden Sie am Ende dieser Seite noch ein paar weiterführende Informationen wie z.B. die Links von Selbsthilfegruppen.

Empfehlungen zur Früherkennung bei Ihren Patient:innen

Aufgrund des erhöhten Risikos für ein hepatozelluläres Karzinom sollten folgende Früherkennungsuntersuchungen durchgeführt werden:

  • Monatliche Bestimmung von AFP (alpha-Fetoprotein) für die ersten 6 Lebensmonate
  • Nach dem 6. Lebensmonate Bestimmung von AFP alle 6 Monate
  • Als Basisdiagnostik kann eine Sonographie oder MRT der Leber erwogen werden

Tyrosinämie Typ 1 – weitere Informationen

Offene klinische Studien / Register