Neurofibromatose Typ 2 – Definition

Die Fanconi-Anämie (FA) ist ein meist rezessives Chromosomen-Instabilitäts-Syndrom, welches durch kongenitale Fehlbildungen, ein progredientes Knochenmarkversagen, ein erhöhtes Krebsrisiko und endokrinologische Auffälligkeiten charakterisiert ist. Bis heute wurden 22 FA-Gene identifiziert (FANCA-Y). Die korrespondierenden Genprodukte interagieren in einem komplexen Signalweg, der die Funktion hat, sogenannte “DNA interstrand cross-links“ (ICLs) zu reparieren.

Synonyme:

FA

Gen:

22 bekannte FA-Gene; FANCA (60-70%), FANCC und FANCG (je etwa ~10%)

Gen­produkte:

Reparaturproteine

Funktion:

Reparatur pathologischer DNA-Brücken zwischen komplementären DNA-Strängen (inter-strand cross-links, ICL)

Erb­gang:

FANCB – X-chromosomal
FANCR – autosomal-dominant
alle anderen Subtypen – autosomal-rezessiv

Prävalenz:

1:200.000 – 400.000 (homozygot, bei aschkenasischen Juden und Afrikanern 10x häufiger); 1: 300 (heterozygot)

Genotyp-Phänotyp-Korrelation:

Patienten mit Mutation im Signalweg “später“ FA-Gene (z.B. FANCD1, FANCB) haben ein höheres Krebsrisiko. Patienten mit Mutationen in “frühen“ FA-Genen haben einen milderen Phänotyp.

Penetranz:

hoch, medianes Diagnosealter 6,5 Jahre; 90% der FA-Patienten sind im Alter von 40 Jahren zytopen

Übersicht der Kapitel auf dieser Seite:

  • Wie hoch ist das Krebsrisiko?

  • Was ist über die Entstehung bekannt?

  • Gibt es eine Therapie?

  • Medizinische Maßnahmen zur Früherkennung

  • Neurofibromatose Typ 2 – was Sie selber tun können
  • Links (z.B. von Selbst­hilfe­gruppen) und weitere Informationen
  • Klinische Präsentation

  • Besonderheiten bei der Behandlung

  • Empfehlungen zur Früherkennung bei Ihren Patient:innen

  • Weitere Informationen (z.B. Links von Selbsthilfegruppen)

Neurofibromatose Typ 2 – Diagnosestellung

Vorgehen bei klinischem Verdacht und bei allen angeborenen Knochenmarkversagen:

  • Testung von Lymphozyten oder Fibroblasten (vorzugsweise bei V.a. somatisches Mosaik) in Kultur auf eine erhöhte spontane Chromosomenbrüchigkeit. Durch Zugabe von DNA-interkalierenden Substanzen (Diepoxybutan (DEB) oder Mitomycin C (MMC)) kann eine Steigerung der Chromosomenbrüchigkeit erreicht werden.
  • Durchflusszytometrie: Vermehrt Zellen mit G2-Arrest
  • Molekulargenetik (Next-Generation-Sequencing -> Gen-Panel-Analyse)
  • Bestimmung der FA-Subklasse ist entscheidend zur Abschätzung des Tumorrisikos bei homo- oder heterozygoten Mutationsträgern mit konsekutiven Empfehlungen zur Früherkennung, z.B. FANCD1 -> BRCA2-Mutation, bei Heterozygotie bereits deutlich erhöhtes Malignomrisiko für Mamma-und Ovarialkarzinome, bei Homozygotie -> Fanconi-Anämie

Differentialdiagnosen

  • SAA, MDS, angeborene Syndrome mit Knochenmarkversagen
  • DNA-Reparaturdefekte wie Nijmegen-Breakage-Syndrom, Bloom-Syndrom

Klinische Präsentation

Klinische Auffälligkeiten

60-70% der FA-Patient:innen zeigen offensichtliche klinische Auffälligkeiten:

  • Skelettale Fehlbildungen der oberen Extremität (klassischerweise Radiusstrahl und Daumen)
  • Hautpigmentveränderungen (Hyperpigmentierungen, Hypopigmentierungen, Vitiligo)
  • Kleinwuchs
  • Mikrozephalie, kleine Augen, breite Nasenwurzel, Mikrognathie und Epikanthus -> charakteristischer Gesichtsausdruck bei FA-Patient:innen
  • Fehlbildungen der inneren Organe, vorrangig Nieren und Herz
  • Endokrinologische Störungen (80% der Patient:innen):
    • Kleinwuchs
    • Hypothyreose
    • herabgesetzte Glukosetoleranz
    • Diabetes mellitus
    • Hyperinsulinismus
  • Progredientes Knochenmarkversagen beginnend in der ersten Lebensdekade (oftmals das erste klinische Krankheitszeichen, das zu der Veranlassung weiterer Diagnostik führt)
    Bi- oder Trizytopenie im Alter von 10 Jahren bei >80%, mit 40 Jahren 90% der FA-Patient:innen (Thrombozyten <100.000/µl, Hb <10g/dl, absolute Neutrophilenzahl <1000/µl)

Tumorprädisposition

  • Hämatologie:

    MDS/AML (kumulative Inzidenz mit 40 Jahren 30-40%, in der Regel geht der AML ein MDS voraus; Beurteilung anhand der Morphologie (Blastenvermehrung oder Zunahme der Zellularität trotz persistierender Panzytopenie), Zytogenetik und Molekulargenetik (-7, EVI1-Veränderungen, RUNX1-Mutationen)

Onkologie:
  • Solide Tumore (kumulative Inzidenz mit 40 Jahren 28%):
    • Plattenepithelkarzinome der Kopf- und Halsregion (Risiko 500-700fach erhöht, 65% Mundhöhle, sehr aggressiv, 2-Jahres-Überleben <50%, weite chirurgische Exzision wenn möglich)
    • Plattenepithelkarzinome im Anogenitalbereich (insbesondere Vulvakarzinom, Risiko 2000-4000fach erhöht)
    • Lebertumore: meistens nur unter Androgentherapie benigne Leberadenome mit spontaner Regredienz nach Absetzen der Therapie, selten hepatozelluläre Karzinome
    • Medulloblastome
    • Nephroblastome

Besonderheiten bei der Behandlung

  • Bluttransfusionen/G-CSF bei therapiepflichtigen Zytopenien
  • Synthetische Androgene bei progredientem Knochenmarkversagen
  • Knochenmarkstransplantation bei fortgeschrittenem Knochenmarkversagen oder Zeichen der Transformation
  • Wachstumshormone zur Korrektur des Kleinwuchses
  • Keine Strahlenexposition, wenn verzichtbar bei Hypersensitivität gegenüber ionisierender Bestrahlung
  • Hypersensitivität gegenüber Alkylanzien (Cyclophosphamid, Ifosfamid, Melphalan, Mechlorethamin, Busulfan, Treosulfan, Nitrosoharnstoffe, Procarbazin und Dacarbazin, Temozolomid, Thiotepa, auch Platin-Derivate)
  • Patient:innenedukation hinsichtlich oraler Hygiene und monatlicher oraler Eigeninspektion auf Schleimhautveränderungen (respektive mit elterlicher Hilfe)
  • Verzicht auf Alkohol- und Tabakkonsum
  • Keine Gabe von Medikamenten, welche die Thrombozytenfunktion beeinträchtigen, wie nicht-steroidale Antiphlogistika (z.B. Ibuprofen).

Diagnose Neurofibromatose Typ 2. Wie geht es weiter?

Nach der Diagnose ist es ratsam, die Weiterbehandlung von betroffenen Patient:innen durch eine:n Spezialist:in für dieses Krebsprädispositionssyndrom durchführen zu lassen. Im folgenden Abschnitt schildern wir Ihnen, ob Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung oder andere Maßnahmen erforderlich sind und wie diese erfolgen sollten. Zudem finden Sie am Ende dieser Seite noch ein paar weiterführende Informationen wie z.B. die Links von Selbsthilfegruppen.

Diagnose Neurofibromatose Typ 2. Wie geht es weiter?

Nach der Diagnose ist es ratsam, die Weiterbehandlung von betroffenen Patient:innen durch eine:n Spezialist:in für dieses Krebsprädispositionssyndrom durchführen zu lassen. Im folgenden Abschnitt schildern wir Ihnen, ob Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung oder andere Maßnahmen erforderlich sind und wie diese erfolgen sollten. Zudem finden Sie am Ende dieser Seite noch ein paar weiterführende Informationen wie z.B. die Links von Selbsthilfegruppen.

Empfehlungen zur Früherkennung bei Ihren Patient:innen

Untersuchungsempfehlungen nach AACR 2016 und FARF Guidelines

  • Hämatologie

    Regelmäßige Blutbildkontrollen, jährliche Knochenmarkbeurteilung (KMP und Biopsie) basierend auf klinischer Einschätzung, frühzeitige Überweisung an ein Transplantationszentrum

  • Onkologie

    Halbjährliche HNO-ärztliche Früherkennungsuntersuchungen ab früher Adoleszenz, jährliche gynäkologische Vorsorge ab Menarche (s.u.)

  • Gynäkologie

    Jährliche gynäkologische Vorsorge ab Menarche/13 Jahren, PAP-Abstrich sobald sexuell aktiv oder ab 18 Jahren, HPV-Impfung für Jungen und Mädchen empfohlen

  • Immunologie

    Nach Empfehlung des Immunologen Monitoring der Immunglobulinwerte

  • Dermatologie

    Jährliche hautärztliche Untersuchung, spätestens ab 18 Jahren

  • Pulmologie

    Nach HSZT: Basisfunktionstestung mit Follow-up nach Bedarf

  • Gastroenterologie

    Jährliche Leberfunktionstests, häufiger unter Androgentherapie

  • Endokrinologie

    Jährlicher Diabetestest, Wachstumskurve

  • Orthopädie

    Testung auf knöcherne Anlagestörung des Unterarmes und ggf. Management

  • Urologie

    Basisuntersuchung auf Nierenfehlbildungen

  • Kardiologie

    Basisuntersuchung auf Herzfehlbildungen

  • HNO-Bereich

    Basis-Hörtest und regelmäßige Kontrollen alle 2-3 Jahre, halbjährliches Tumorvorsorgescreening ab 2. Lebensdekade

  • Zahnarzt

    Halbjährliche Kontrollen (klinisch, kein Röntgen)

Bitte beachten Sie in diesem Zusammenhang auch die ergänzenden Empfehlungen des Fanconi-Anämie-Registers (PDF herunterladen).