"Von-Hippel-Lindau-Syndrom" – was ist das?
Das Von-Hippel-Lindau-Syndrom (VHL) ist eine Erkrankung, die auf Mutationen, also genetischen Veränderungen im VHL-Gen beruht. Es ist charakterisiert durch Hämangioblastome (gutartige Gefäßtumore) des Gehirns, des Rückenmarks und der Netzhaut des Auges sowie ein erhöhtes Risiko für Nierenzellkarzinome (bösartiger Nierentumor) und Nierenzysten, Phäochromozytome (Tumor der Nebenniere, der Hormone wie Adrenalin produziert), Zysten und neuroendokrine Tumore (z.T. hormonproduzierende Tumore) der Bauchspeicheldrüse, endolymphatische Sack Tumore (Innenohrtumor) und Zysten des Nebenhodens und der Eierstöcke und Eileiter.
Wie wird die Diagnose "Von-Hippel-Lindau-Syndrom" gestellt?

Verdachtsdiagnose
Der Verdacht auf ein Von-Hippel-Lindau-Syndrom besteht bei folgenden Befunden:
- Hämangioblastom der Netzhaut, vor allem bei jungen Patient:innen
- Hämangioblastom des zentralen Nervensystems (ZNS), also Gehirn oder Rückenmark
- Klarzelliges Nierenzellkarzinom (RCC)
- Phäochromozytom (PHEO)
- Endolymphatischer Sack Tumor (ELST)
- Zysten (Zystadenom) der Eierstöcke/Eileiter oder des Nebenhodens
- Mehrere Zysten oder neuroendokriner Tumor (NET) der Bauchspeicheldrüse
- Mehrere Nierenzysten
Diagnosekriterien
Die Diagnose „Von-Hippel-Lindau-Syndrom“ gilt als gesichert bei einer nachgewiesenen Mutation, also genetischen Veränderung im VHL-Gen und/oder:
- Ohne VHL in der Familie bei Patient:innen mit mindestens zwei der folgenden Befunde:
≥2 Hämangioblastome der Netzhaut, des Rückenmarks oder Gehirns, oder ein einzelnes Hämangioblastom zusammen mit einer Manifestation im Bauch (z.B. mehrere Zysten der Nieren oder der Bauchspeicheldrüse)
Nierenzellkarzinom
Phäochromozytom
ELST, Zystadenom der Eierstöcke oder Eileiter/des Nebenhodens oder NET der Bauchspeicheldrüse
- Mit VHL in der Familie bei Patient:innen mit mindestens einem der folgenden Befunde:
Hämangioblastom der Netzhaut
Hämangioblastom des Rückenmarks oder Kleinhirns
Phäochromozytom
Nierenzellkarzinom
Mehrere Zysten der Nieren oder der Bauchspeicheldrüse
Genetische Diagnostik
Die Diagnose „Von-Hippel-Lindau-Syndrom“ wird gesichert durch den Nachweis einer Mutation, also einer genetischen Veränderung des VHL-Gens.
Wie hoch ist das Krebsrisiko?

Das klinische Bild ist abhängig von der zugrunde liegenden VHL-Mutation und zeigt sich sehr variabel.
Hämangioblastome
Hämangioblastome (HB) sind gutartige von den Gefäßen ausgehende Tumore und treten im ZNS, also im Gehirn und dem Rückenmark, und in der Netzhaut des Auges auf und wachsen meist sprunghaft. Sie können je nach Lokalisation verschiedene neurologische Symptome wie Kopfschmerzen, Erbrechen, Störungen der Bewegungskoordination, Gangbeeinträchtigungen, sensorische oder motorische Ausfallerscheinungen und Schmerzen verursachen. Beim Auftreten an der Netzhaut können sie Gesichtsfeldausfälle und eine eingeschränkte Sehfähigkeit auslösen. Sie können aber auch symptomlos verlaufen und fallen dann meist bei Früherkennungsuntersuchungen auf. Im ZNS treten 20% der Hämangioblastome im Rückenmark auf und 80% im Gehirn, dabei meist im Bereich des Kleinhirns.
Manifestationen
Studien zeigen, dass etwa im Alter von 75 Jahren, alle Patient:innen mit Von-Hippel-Lindau-Syndrom mindestens an einer Manifestation erkrankt sind. Die folgende Tabelle zeigt die im Rahmen eines Von-Hippel-Lindau-Syndroms auftretenden Erkrankungen, das Risiko für deren Auftreten sowie das jüngste und das durchschnittliche Alter bei Diagnosestellung in Jahren.
Tumor | Risiko | Jüngstes / durchschnittliches Alter bei Diagnose |
---|---|---|
ZNS Hämangioblastom | 60% – 80% | 9 / 30 |
HB der Netzhaut | 25% – 60% | 0 / 25 |
Niere
|
25% – 75%
|
12 / 39
|
Phäochromozytom | 10% – 25% | 12 / 27 |
Endolymphatischer Sack Tumor | 10% – 15% | 6 / 22 |
Bauchspeicheldrüse
|
35% – 75%
|
5 / 36
|
Zystadenom Nebenhoden | 25% – 60% | 17 / 24 |
Zystadenom Eierstöcke/Eileiter | 10% | 16 / unbekannt |
Von-Hippel-Lindau-Syndrom – was ist über die Entstehung bekannt?

Das Von-Hippel-Lindau-Syndrom beruht auf Mutationen, also genetischen Veränderungen des VHL-Gens. Dieses Gen kodiert für das VHL-Protein, welches sich normalerweise mit dem Protein HIF verbindet, dieses abbaut und dadurch die Freisetzung von Wachstumsfaktoren (v.a. für Gefäße) hemmt.
Liegt nun das VHL-Gen in einer veränderten Form vor, wird auch das VHL-Protein nicht korrekt hergestellt. Es kann sich daraufhin nicht mit dem Protein HIF verbinden und dieses abbauen. So kommt es zu einer Ansammlung des Proteins HIF und dadurch zur vermehrten Freisetzung von Wachstumsfaktoren (v.a. für Gefäße), so dass es zum Tumorwachstum und zur verbesserten Blutversorgung der Tumore kommt.
Die genetische Veränderung haben die Betroffenen meist von einem Elternteil geerbt. Etwa 80% der Patient:innen haben ein Elternteil, welches ebenfalls an einem Von-Hippel-Lindau-Syndrom erkrankt ist. Der Erbgang ist autosomal-dominant. Den verbleibenden Fällen (20%) liegt eine Spontan- oder Neumutation, man nennt das eine de novo Mutation, zu Grunde.
Gibt es eine Therapie?

Die Behandlung des Von-Hippel-Lindau-Syndroms erfolgt nach der jeweils vorliegenden Erkrankung.
ZNS Hämangioblastome
Hämangioblastome des ZNS, die Symptome verursachen, sollten chirurgisch entfernt werden. Bei nicht-symptomatischen Hämangioblastomen ist das Vorgehen noch umstritten. Zysten des Rückenmarks sollten ebenfalls chirurgisch entfernt werden.
Hämangioblastome der Netzhaut
Hämangioblastome der Netzhaut sollten möglichst frühzeitig behandelt werden. Dafür stehen verschiedene Möglichkeiten wie Laser, Xenon oder Kryoablation zur Verfügung. Der Erfolg der Behandlung ist abhängig von der Lokalisation, der Größe und der Anzahl der Läsionen. Eine bestimmte Form der Strahlentherapie ist eine Option bei ausbleibendem Erfolg der Standardtherapie.
Nierenzellkarzinome
Nierenzellkarzinome sollten frühzeitig chirurgisch behandelt werden. Dabei sollte, wenn möglich, die Niere erhalten bleiben oder nur teilweise entfernt werden. Auch die Nebenniere sollte möglichst nicht entfernt werden. Kryoablation oder Radiofrequenzablation sind Optionen bei der Therapie kleiner Tumore (<3cm). Eine Nierentransplantation ist erforderlich, wenn die Entfernung beider Nieren notwendig ist.
Phäochromozytome
Phäochromozytome sollten chirurgisch entfernt werden. Da es sich um hormonproduzierende Tumore handelt, ist eine medikamentöse Therapie vor einer Operation sinnvoll. Eine teilweise Entfernung der Nebennieren ist die Therapie der Wahl bei Kindern und kann auch bei Erwachsenen in Erwägung gezogen werden.
Zysten und neuroendokrine Tumore der Bauchspeicheldrüse
Zysten müssen in der Regel nicht operativ entfernt werden. Tumore sollten chirurgisch entfernt werden bei einer Größe ≥3cm, schnellem Wachstum oder bestimmten genetischen Veränderungen.
Endolymphatische Sack Tumore (Innenohrtumore)
Eine frühzeitige operative Entfernung wird angeraten. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass nach einer Operation eine Taubheit nicht ausgeschlossen werden kann.
Zystadenome der Eierstöcke/Eileiter und des Nebenhodens
In der Regel ist keine operative Therapie erforderlich, solange sie keine Beschwerden verursachen oder die Fruchtbarkeit bedrohen.
Diagnose Von-Hippel-Lindau-Syndrom. Wie geht es weiter?
Nach der Diagnose wenden Sie sich bitte unbedingt an eine:n Spezialist:in für dieses Krebsprädispositionssyndrom. Im folgenden Abschnitt schildern wir Ihnen, ob Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung oder andere Maßnahmen erforderlich sind und wie diese erfolgen sollten. Zudem geben wir Ihnen ein paar Tipps, was Sie selber tun können. Bei Fragen wenden Sie sich bitte jederzeit an uns oder Ihren behandelnden Arzt oder Ihre behandelnde Ärztin.
Diagnose Von-Hippel-Lindau-Syndrom. Wie geht es weiter?
Nach der Diagnose wenden Sie sich bitte unbedingt an eine:n Spezialist:in für dieses Krebsprädispositionssyndrom. Im folgenden Abschnitt schildern wir Ihnen, ob Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung oder andere Maßnahmen erforderlich sind und wie diese erfolgen sollten. Zudem geben wir Ihnen ein paar Tipps, was Sie selber tun können. Bei Fragen wenden Sie sich bitte jederzeit an uns oder Ihren behandelnden Arzt oder Ihre behandelnde Ärztin.
Medizinische Maßnahmen zur Früherkennung

Altersunabhängig sollte jede Person mit Von-Hippel-Lindau-Syndrom eine jährliche klinische Untersuchung wahrnehmen. Bestandteile dieser ärztlichen Vorstellung sind Blutdruckkontrollen, neurologische Untersuchungen sowie die Untersuchung von Seh- oder Hörfähigkeit. Darüber hinaus sollten Personen mit VHL über Symptome und Zeichen der Erkrankung informiert werden. Idealerweise werden alle VHL-Patienten von einem bzw. einer mit dem Von-Hippel-Lindau-Syndrom vertrauten Arzt bzw. Ärztin betreut, der bzw. die auf ein fächerübergreifendes Team zurückgreifen kann.
Hinsichtlich der einzelnen Manifestationen im Rahmen eines VHL schlägt die American Association for Cancer Research (AACR) folgende Früherkennungsempfehlungen vor:
Hämangioblastome der Netzhaut
- Jährliche augenärztliche Untersuchung inklusive Untersuchung der Netzhaut ab Geburt
Phäochromozytom
- Blutdruckkontrollen bei jeder ärztlichen Vorstellung ab 2 Jahren
- Jährliche Blut- oder Urinuntersuchung auf Hormone der Nebenniere ab 2 Jahren
Bei Auffälligkeiten sollte je nach Werten eine Bildgebung bzw. eine Wiederholung der Untersuchung nach 2 bzw. 6 Monaten erfolgen
Endolymphatische Sacktumore
- Alle zwei Jahre Audiogramm ab 5 Jahren
ZNS-Hämangioblastom
- Alle zwei Jahre (ab dem Erwachsenenalter ggf. jährlich) MRT des Kopfes mit und ohne Kontrastmittel + Dünnschichtaufnahmen des inneren Gehörgangs ab 8 Jahren
- Alle zwei Jahre (ab dem Erwachsenenalter ggf. jährlich) MRT des Rückenmarks mit Kontrastmittel ab 8 Jahren
Nierenzellkarzinome
- Jährlich MRT des Bauches ab 10 Jahren (kann zusammen mit dem Screening für NET der Bauchspeicheldrüse erfolgen)
Neuroendokriner Tumor der Bauchspeicheldrüse
- Jährliche MRT des Bauches ab 10 Jahren (kann zusammen mit dem Screening für Nierenzellkarzinome erfolgen)
Von-Hippel-Lindau-Syndrom – was Sie selber tun können
Darauf sollten Sie achten
Sie sollten einen Arzt oder eine Ärztin aufsuchen, sobald neurologische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Erbrechen, Koordinationsschwierigkeiten, Gangunsicherheiten, sensorische oder motorische Ausfallerscheinungen oder Schmerzen auftreten. Daneben sollten auch Seh- oder Hörveränderungen wahrgenommen und einem Arzt bzw. einer Ärztin berichtet werden. Auch bei weiteren neu auftretenden Auffälligkeiten oder Beschwerden, z.B. Bauchschmerzen, Herzrasen oder Schwindel sollten Sie dringend einen Arzt bzw. eine Ärztin konsultieren.
Weitere Informationen
Weitere Fragen?
Wir sind für Sie per E-Mail und telefonisch erreichbar. Zudem können Sie persönlich in unsere Sprechstunden kommen. Weitere Informationen entnehmen Sie am besten unserer Kontaktseite.