Was ist das Von-Hippel-Lindau-Syndrom?
Das Von-Hippel-Lindau-Syndrom (VHL) ist eine Erkrankung, die auf Mutationen, also genetischen Veränderungen im VHL-Gen beruht. Es ist charakterisiert durch Hämangioblastome (gutartige Gefäßtumore) des Gehirns, des Rückenmarks und der Netzhaut des Auges sowie ein erhöhtes Risiko für Nierenzellkarzinome (bösartiger Nierentumor) und Nierenzysten, Phäochromozytome (Tumor der Nebenniere, der Hormone wie Adrenalin produziert), Zysten und neuroendokrine Tumore (z.T. hormonproduzierende Tumore) der Bauchspeicheldrüse, endolymphatische Sack Tumore (Innenohrtumor) und Zysten des Nebenhodens und der Eierstöcke und Eileiter.
Wie wird die Diagnose Von-Hippel-Lindau-Syndrom gestellt?
Verdachtsdiagnose
Der Verdacht auf ein Von-Hippel-Lindau-Syndrom besteht bei folgenden Befunden:
Diagnosekriterien
Die Diagnose „Von-Hippel-Lindau-Syndrom“ gilt als gesichert bei einer nachgewiesenen Mutation, also genetischen Veränderung im VHL-Gen und/oder:
Genetische Diagnostik
Die Diagnose „Von-Hippel-Lindau-Syndrom“ wird gesichert durch den Nachweis einer Mutation, also einer genetischen Veränderung des VHL-Gens.
Wie hoch ist das Krebsrisiko?
Das klinische Bild ist abhängig von der zugrunde liegenden VHL-Mutation und zeigt sich sehr variabel.
Hämangioblastome
Hämangioblastome (HB) sind gutartige von den Gefäßen ausgehende Tumore und treten im ZNS, also im Gehirn und dem Rückenmark, und in der Netzhaut des Auges auf und wachsen meist sprunghaft. Sie können je nach Lokalisation verschiedene neurologische Symptome wie Kopfschmerzen, Erbrechen, Störungen der Bewegungskoordination, Gangbeeinträchtigungen, sensorische oder motorische Ausfallerscheinungen und Schmerzen verursachen. Beim Auftreten an der Netzhaut können sie Gesichtsfeldausfälle und eine eingeschränkte Sehfähigkeit auslösen. Sie können aber auch symptomlos verlaufen und fallen dann meist bei Früherkennungsuntersuchungen auf. Im ZNS treten 20% der Hämangioblastome im Rückenmark auf und 80% im Gehirn, dabei meist im Bereich des Kleinhirns.
Manifestationen
Studien zeigen, dass etwa im Alter von 75 Jahren, alle Patienten mit Von-Hippel-Lindau-Syndrom mindestens an einer Manifestation erkrankt sind. Die folgende Tabelle zeigt die im Rahmen eines Von-Hippel-Lindau-Syndroms auftretenden Erkrankungen, das Risiko für deren Auftreten sowie das jüngste und das durchschnittliche Alter bei Diagnosestellung in Jahren.
Tumor | Risiko | Jüngstes / durchschnittliches Alter bei Diagnose |
---|---|---|
ZNS Hämangioblastom | 60% – 80% | 9 / 30 |
HB der Netzhaut | 25% – 60% | 0 / 25 |
Niere
|
25% – 75%
|
12 / 39
|
Phäochromozytom | 10% – 25% | 12 / 27 |
Endolymphatischer Sack Tumor | 10% – 15% | 6 / 22 |
Bauchspeicheldrüse
|
35% – 75%
|
5 / 36
|
Zystadenom Nebenhoden | 25% – 60% | 17 / 24 |
Zystadenom Eierstöcke/Eileiter | 10% | 16 / unbekannt |
Wodurch entsteht das Von-Hippel-Lindau-Syndrom?
Das Von-Hippel-Lindau-Syndrom beruht auf Mutationen, also genetischen Veränderungen des VHL-Gens. Dieses Gen kodiert für das VHL-Protein, welches sich normalerweise mit dem Protein HIF verbindet, dieses abbaut und dadurch die Freisetzung von Wachstumsfaktoren (v.a. für Gefäße) hemmt.
Liegt nun das VHL-Gen in einer veränderten Form vor, wird auch das VHL-Protein nicht korrekt hergestellt. Es kann sich daraufhin nicht mit dem Protein HIF verbinden und dieses abbauen. So kommt es zu einer Ansammlung des Proteins HIF und dadurch zur vermehrten Freisetzung von Wachstumsfaktoren (v.a. für Gefäße), so dass es zum Tumorwachstum und zur verbesserten Blutversorgung der Tumore kommt.
Die genetische Veränderung haben die Betroffenen meist von einem Elternteil geerbt. Etwa 80% der Patienten haben ein Elternteil, welches ebenfalls an einem Von-Hippel-Lindau-Syndrom erkrankt ist. Der Erbgang ist autosomal-dominant. Den verbleibenden Fällen (20%) liegt eine Spontan- oder Neumutation, man nennt das eine de novo Mutation, zu Grunde.
Gibt es eine Therapie?
Die Behandlung des Von-Hippel-Lindau-Syndroms erfolgt nach der jeweils vorliegenden Erkrankung.
ZNS Hämangioblastome
Hämangioblastome des ZNS, die Symptome verursachen, sollten chirurgisch entfernt werden. Bei nicht-symptomatischen Hämangioblastomen ist das Vorgehen noch umstritten. Zysten des Rückenmarks sollten ebenfalls chirurgisch entfernt werden.
Hämangioblastome der Netzhaut
Hämangioblastome der Netzhaut sollten möglichst frühzeitig behandelt werden. Dafür stehen verschiedene Möglichkeiten wie Laser, Xenon oder Kryoablation zur Verfügung. Der Erfolg der Behandlung ist abhängig von der Lokalisation, der Größe und der Anzahl der Läsionen. Eine bestimmte Form der Strahlentherapie ist eine Option bei ausbleibendem Erfolg der Standardtherapie.
Nierenzellkarzinome
Nierenzellkarzinome sollten frühzeitig chirurgisch behandelt werden. Dabei sollte, wenn möglich, die Niere erhalten bleiben oder nur teilweise entfernt werden. Auch die Nebenniere sollte möglichst nicht entfernt werden. Kryoablation oder Radiofrequenzablation sind Optionen bei der Therapie kleiner Tumore (<3cm). Eine Nierentransplantation ist erforderlich, wenn die Entfernung beider Nieren notwendig ist.
Phäochromozytome
Phäochromozytome sollten chirurgisch entfernt werden. Da es sich um hormonproduzierende Tumore handelt, ist eine medikamentöse Therapie vor einer Operation sinnvoll. Eine teilweise Entfernung der Nebennieren ist die Therapie der Wahl bei Kindern und kann auch bei Erwachsenen in Erwägung gezogen werden.
Zysten und neuroendokrine Tumore der Bauchspeicheldrüse
Zysten müssen in der Regel nicht operativ entfernt werden. Tumore sollten chirurgisch entfernt werden bei einer Größe ≥3cm, schnellem Wachstum oder bestimmten genetischen Veränderungen.
Endolymphatische Sack Tumore (Innenohrtumore)
Eine frühzeitige operative Entfernung wird angeraten. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass nach einer Operation eine Taubheit nicht ausgeschlossen werden kann.
Zystadenome der Eierstöcke/Eileiter und des Nebenhodens
In der Regel ist keine operative Therapie erforderlich, solange sie keine Beschwerden verursachen oder die Fruchtbarkeit bedrohen.
Gibt es Maßnahmen zur Früherkennung von Krebserkrankungen?
Maßnahmen zur Früherkennung
Altersunabhängig sollte jede Person mit Von-Hippel-Lindau-Syndrom eine jährliche klinische Untersuchung wahrnehmen. Bestandteile dieser ärztlichen Vorstellung sind Blutdruckkontrollen, neurologische Untersuchungen sowie die Untersuchung von Seh- oder Hörfähigkeit. Darüber hinaus sollten Personen mit VHL über Symptome und Zeichen der Erkrankung informiert werden. Idealerweise werden alle VHL-Patienten von einem mit dem Von-Hippel-Lindau-Syndrom vertrauten Arzt betreut, der auf ein fächerübergreifendes Team zurückgreifen kann.
Hinsichtlich der einzelnen Manifestationen im Rahmen eines VHL schlägt die American Association for Cancer Research (AACR) folgende Früherkennungsempfehlungen vor:
Hämangioblastome der Netzhaut
Phäochromozytom
Endolymphatische Sack Tumore
ZNS Hämangioblastome
Nierenzellkarzinome
Neuroendokrine Tumore der Bauchspeicheldrüse
Selbstfürsorge und Selbsthilfe
Worauf sollte ich besonders achten?
Sie sollten einen Arzt aufsuchen, sobald neurologische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Erbrechen, Koordinationsschwierigkeiten, Gangunsicherheiten, sensorische oder motorische Ausfallerscheinungen oder Schmerzen auftreten. Daneben sollten auch Seh- oder Hörveränderungen wahrgenommen und einem Arzt berichtet werden. Auch bei weiteren neu auftretenden Auffälligkeiten oder Beschwerden, z.B. Bauchschmerzen, Herzrasen oder Schwindel sollten Sie dringend einen Arzt aufsuchen.