"Ornithin-Transcarbamylase-Defizienz" – was ist das?
Die Ornithin-Transcarbamylase-Defizienz (OTC-Defizienz) ist eine X-chromosomal vererbte Stoffwechselerkrankung, die auf Mutationen, also genetischen Veränderungen im OTC-Gen beruht. Dieser Defekt führt zu einem fehlerhaften Abbau von Ammoniak und kann bei männlichen Neugeborenen durch einen stark erhöhten Ammoniakgehalt im Blut zum Koma und zu schweren Schädigungen des Gehirns führen. Es ist jedoch auch ein späteres Erkrankungsalter sowie ein milderer Verlauf möglich, wobei auch weibliche Personen betroffen sein können.
Wie wird die Diagnose "Ornithin-Transcarbamylase-Defizienz" gestellt?
Verdachtsdiagnose
Der Verdacht auf eine OTC-Defizienz besteht bei dem Vorliegen folgender Befunde:
Klinik – neugeborene Jungen:
- Normal bei Geburt
- Entwicklung eines schlechten Trinkverhaltens mit vermindertem Saugen
- Akute Schädigung des Gehirns (Bewusstseinsstörung, Schläfrigkeit) mit beschleunigter Atmung und niedriger Körpertemperatur
Klinik – Kinder, Jugendliche, Erwachsene (männlich oder weiblich):
- Verhaltensänderung aufgrund einer Hirnschädigung oder psychotische Episoden
- Wiederkehrendes Erbrechen
- Migräne-Kopfschmerzen
- Reye-artiges Syndrom (Erbrechen, Fieber, Reizbarkeit, Unterzuckerung, Bewusstseinsstörungen, Krampfanfälle, Hirnödem)
- Krampfanfälle
- Unerklärte Bewegungsstörungen
Familienanamnese:
Tod männlicher Neugeborener in der Familie: Innerhalb der ersten Lebenswoche an Blutvergiftung, unerklärter Schläfrigkeit, Nahrungsverweigerung, zu hoher Atemfrequenz oder schwerer Krankheit
Laborbefund:
Achtung: In Deutschland wird eine OTC-Defizienz nicht im Neugeborenenscreening erfasst!
Ein hoher Ammoniak-Spiegel und eine bestimmte Aminosäuren-Konstellation im Blut, sowie eine erhöhte Konzentration von Orotsäure im Urin können hinweisend auf eine OTC-Defizienz sein.
Diagnosekriterien
Männliche Personen:
Die Diagnose „OTC-Defizienz“ gilt bei vorliegenden o.g. klinischen und laborchemischen Befunden und/oder bei mindestens einem der folgenden Befunde als gesichert:
- Nachgewiesene Mutation im OTC-Gen
- Anormal starker Anstieg der Orotsäure-Ausscheidung nach Allopurinol-Belastungstest mit oder ohne positive Familienanamnese für OTC-Defizienz
- Reduzierte OTC-Enzymaktivität in der Leber
Weibliche Personen:
Die Diagnose „OTC-Defizienz“ gilt als gesichert bei vorliegenden o.g. klinischen und laborchemischen Befunden und/oder bei mindestens einem der folgenden Befunde:
- Nachgewiesene Mutation im OTC-Gen
- Anormal starker Anstieg der Orotsäure-Ausscheidung nach Allopurinol-Belastungstest mit oder ohne positive Familienanamnese für OTC-Defizienz
Eine Leberbiopsie wird bei weiblichen Personen zur Diagnostik der OTC-Defizienz nicht empfohlen.
Genetische Diagnostik
Genetisch wird die Diagnose „OTC-Defizienz“ durch den Nachweis einer Mutation, also einer genetischen Veränderung im OTC-Gen gesichert.
Wie hoch ist das Krebsrisiko?
Im Rahmen einer OTC-Defizienz ist Leberkrebs (Hepatozelluläres Karzinom) beschrieben. Das Risiko für die Entwicklung dieses bösartigen Lebertumors ist wahrscheinlich v.a. bei den Patient:innen erhöht, die eine langandauernde Leberschädigung aufweisen und nicht transplantiert wurden. Das genaue Risiko kann aber bisher nicht beziffert werden.
Klinisch kann die OTC-Defizienz entweder als schwere Erkrankung bei männlichen Neugeborenen (bei weiblichen Neugeborenen extrem selten) oder nach dem Neugeborenenalter (post-neonatal) bei männlichen und weiblichen Personen auftreten.
Auftreten im Neugeborenenalter
Typischerweise scheinen die betroffenen Kinder bei Geburt gesund zu sein, jedoch zeigt sich ab dem zweiten bis dritten Lebenstag ein zunehmender Verlust des Saugverhaltens und damit eine reduzierte Nahrungsaufnahme. Betroffene Neugeborene werden zunehmend schlapper und schläfriger, ein stark erhöhter Ammoniakgehalt im Blut kann zum Koma führen. Dazu kommen eine beschleunigte Atmung, die zu Krampfanfällen führen kann, eine erniedrigte Körpertemperatur sowie eine schwere Schädigung des Gehirns.
Nach einem Koma, welches durch erhöhte Ammoniakspiegel im Blut verursacht wurde, besteht weiterhin ein gesteigertes Risiko für erhöhte Ammoniak-Spiegel. In der Regel ist eine Lebertransplantation mit etwa 6 Monaten (z.T. früher) erforderlich, um weiterer Hirnschädigung vorzubeugen und die Lebensqualität zu erhöhen.
Auftreten nach dem Neugeborenenalter
Bei männlichen und weiblichen Betroffenen mit einer partiellen OTC-Defizienz kann sich die Erkrankung vom Säuglings- bis hin zum Erwachsenenalter erstmals manifestieren. Oft zeigen sich erste Symptome wie phasenweises Erbrechen, Bewusstseinsstörungen, Erregbarkeit, Gedeihstörung oder Entwicklungsverzögerung bei der Umstellung vom Stillen zu Flaschennahrung oder Kuhmilch.
Bei Erwachsenen mit sehr milder Erkrankung zeigen sich erste Symptome meist nach einem Auslöser wie größeren Verletzungen, nach Operationen oder einer Schwangerschaft, während einer Krebstherapie, nach langem Fasten, proteinreicher Diät, hochdosierter Kortisontherapie oder einer fieberhaften Erkrankung.
Weibliche Betroffene
Weibliche Betroffene, bei denen nur eines der beiden X-Chromosome eine genetische Veränderung im OTC-Gen aufweist, können sich ganz ohne Symptome zeigen, aber auch deutliche klinische Zeichen aufweisen. Der Ausprägungsgrad ist abhängig von der Inaktivierung des X-Chromosoms. Etwa 15% dieser Betroffenen entwickeln im Laufe ihres Lebens Symptome.
Ornithin-Transcarbamylase-Defizienz – was ist über die Entstehung bekannt?
Die OTC-Defizienz beruht auf Mutationen, also genetischen Veränderungen des OTC-Gens. Dieses Gen kodiert für das OTC-Protein, welches für den Abbau von Ammoniak im sogenannten Harnstoffzyklus notwendig ist.
Liegt nun das Gen in einer veränderten Form vor, wird auch das entsprechende Protein nicht korrekt hergestellt und kann seine eigentliche Funktion nicht mehr erfüllen. Daraufhin kann Ammoniak nicht mehr abgebaut und ausgeschieden werden und es kommt zu einer Ansammlung im Körper, welche zu schweren Leber- und Hirnschädigungen führt.
Die OTC-Defizienz kann von den Eltern an ihre Kinder weitergegeben werden, wobei der Erbgang X-chromosomal ist. Das heißt, er wird über das X-Chromosom vererbt. Menschen männlichen Geschlechts haben ein X- und ein Y-Chromosom, Menschen weiblichen Geschlechts sind durch zwei X-Chromosomen gekennzeichnet. Wenn bei einem männlichen Neugeborenen nun das OTC-Gen auf dem X-Chromosom genetisch verändert ist, kommt es zu einem vollständigen Verlust des OTC-Proteins und daher zu einem sehr schweren Krankheitsverlauf. Weibliche Betroffene, bei denen ein X-Chromosom die genetische Veränderung aufweist, haben noch ein „gesundes“ X-Chromosom, weshalb der Verlauf der OTC-Defizienz hier in der Regel deutlich milder ist.
Gibt es eine Therapie?
Die Behandlung sollte interdisziplinär unter Beteiligung der entsprechenden Fachdisziplinen erfolgen.
In der Akutphase sollte der Ammoniakspiegel so rasch wie möglich gesenkt werden. Therapie der Wahl hierzu ist sowohl bei Neugeborenen als auch bei älteren Patient:innen die Dialyse. Darüber hinaus kann eine Therapie mit Ammoniak-bindenden Medikamenten erfolgen.
Die Langzeitbehandlung beinhaltet eine reduzierte Proteinzufuhr sowie die Therapie mit Ammoniak-bindenden Medikamenten.
Als Folge eines Komas oder von Krisen, die auf einen erhöhten Ammoniakspiegel zurückzuführen sind, kann eine Lebertransplantation erforderlich sein.
Diagnose Ornithin-Transcarbamylase-Defizienz. Wie geht es weiter?
Nach der Diagnose wenden Sie sich bitte unbedingt an einen Spezialisten bzw. eine Spezialistin für dieses Krebsprädispositionssyndrom. Im folgenden Abschnitt schildern wir Ihnen, ob Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung oder andere Maßnahmen erforderlich sind und wie diese erfolgen sollten. Zudem geben wir Ihnen ein paar Tipps, was Sie selber tun können. Bei Fragen wenden Sie sich bitte jederzeit an uns oder Ihren behandelnden Arzt oder Ihre behandelnde Ärztin.
Diagnose Ornithin-Transcarbamylase-Defizienz. Wie geht es weiter?
Nach der Diagnose wenden Sie sich bitte unbedingt an einen Spezialisten bzw. eine Spezialstin für dieses Krebsprädispositionssyndrom. Im folgenden Abschnitt schildern wir Ihnen, ob Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung oder andere Maßnahmen erforderlich sind und wie diese erfolgen sollten. Zudem geben wir Ihnen ein paar Tipps, was Sie selber tun können. Bei Fragen wenden Sie sich bitte jederzeit an uns oder Ihren behandelnden Arzt oder Ihre behandelnde Ärztin.
Medizinische Maßnahmen zur Früherkennung
- Zu Beginn einer Therapie sollten regelmäßig Ammoniak-Spiegel im Blut gemessen werden: Zunächst mindestens alle 2 Wochen, dann im Verlauf weiter ausgedehnt bis hin zu alle 4 Monate
- Zu Beginn der Therapie sollte eine Aminosäuren-Analyse im Blut durchgeführt werden: Zunächst mindestens alle 2 Wochen, dann im Verlauf weiter ausgedehnt bis hin zu alle 4 Monate
- Leberfunktionstests abhängig von Symptomen alle 3-6 Monate oder häufiger bei Erhöhung
- Neuropsychologische Untersuchungen zu Zeitpunkten, an denen Meilensteine der Entwicklung erreicht sein sollten (z.B. mit 6-9 Monaten, 18 Monaten, 3 Jahren)
- Fasten, Stress sowie eine medikamentöse Therapie mit Valproat, Haloperidol oder die systemische Gabe von Kortison sollten vermieden werden.
- Das Bewusstsein für ein möglicherweise erhöhtes Risiko für Leberkrebs sollte bei den Patient:innen geschaffen werden. Eine gezielte Krebsfrüherkennung wird nicht empfohlen.
Ornithin-Transcarbamylase-Defizienz – was Sie selber tun können
Darauf sollten Sie achten
Sie sollten einen Arzt bzw. eine Ärztin aufsuchen, sobald sich bei einem Neugeborenen eine Trinkverweigerung mit Verlust des Saugverhaltens, Schläfrigkeit, eine zunehmend schwächer werdende Muskulatur, Krampfanfälle oder Bewusstseinsstörungen zeigen. Nach dem Neugeborenenalter sollten episodisches Erbrechen, Erregbarkeit, aber auch Bewusstseinsstörungen sowie Gedeihstörungen oder eine Entwicklungsverzögerung wahrgenommen und einem Arzt oder einer Ärztin berichtet werden. Auch bei weiteren neu auftretenden Auffälligkeiten oder Beschwerden sollten Sie einen Arzt bzw. eine Ärztin konsultieren.
Weitere Informationen
Außerdem können sich Patient:innen jederzeit für das KPS-Register anmelden oder dies durch die betreuenden Ärztinnen und Ärzte vornehmen lassen.
Weitere Fragen?
Wir sind für Sie per E-Mail und telefonisch erreichbar. Zudem können Sie persönlich in unsere Sprechstunden kommen. Weitere Informationen entnehmen Sie am besten unserer Kontaktseite.