Definition
Hereditäre Phäochromozytom/Paragangliom-Syndrome (HPP) sind genetische Erkrankungen, die auf heterozygoten Mutationen in einem SDH-Gen, dem MAX– oder dem TMEM127-Gen beruhen. Sie sind charakterisiert durch meist gutartige Tumore, die von der Neuralleiste ausgehen. Extra-adrenale parasympathische Paragangliome sind häufig im Bereich der Hirnbasis, des Halses und des oberen Mediastinums lokalisiert und sind in der Regel nicht-sekretorisch. Dagegen sind sympathische Paragangliome meist im Bereich des unteren Mediastinums, des Abdomens und des Beckens lokalisiert und hormonproduzierend. Daneben besteht eine Assoziation mit gastrointestinalen Stromatumoren, Nierenzelltumoren und papillären Schilddrüsenadenomen.
Eckdaten
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Synonyme | Familiäre Glomus Tumoren, Familiäre nonchromaffine Paragangliome |
Gene | SDHx (SDHA, SDHB, SDHC, SDHD, SDHAF2) MAX TMEM127 |
Genprodukte | SDH (Succinatdehydrogenase) mit den Untereinheiten A-D, SDHAF2 MAX (MYC assoziierter Faktor X) TMEM127 (transmembranes Protein) |
Funktion | Tumorsuppressoren |
Erbgang | autosomal-dominant: SDHA, SDHB, SDHC, TMEM127 paternale Transmission: SDHD, SDHAF2, MAX etwa 65% de novo Mutationen |
Prävalenz | Die Inzidenz liegt bei etwa 1:300.000 pro Jahr. |
Genotyp- Phänotyp- Korrelation |
SDHB:
SDHD, SDHC, SDHAF2:
|
Penetranz | SDHD-Mutationen: 90% SDHB-Mutationen: 30%-50% SDHA-, SDHC-, SDHAF2– und TMEM127-Mutationen: bisher unklar |
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Diagnose
Verdachtsdiagnose
Der Verdacht auf das Vorliegen von HPP besteht bei folgenden Befunden:
Bilaterale oder multiple Paragangliome/Phäochromozytome
Multifokale Paragangliome/Phäochromozytome, die synchron oder metachron auftreten
Rezidivierende Paragangliome/Phäochromozytome
Frühes Auftreten von Paragangliomen/Phäochromozytomen (<45 Jahre)
Familiäre Präsentation von Paragangliomen/Phäochromozytomen, die vereinbar sind mit einem autosomal-dominanten Erbgang
Genetische Diagnostik
Die Diagnose „Hereditäre Phäochromozytom/Paragangliom-Syndrome“ wird gesichert durch den Nachweis einer heterozygoten Keimbahnmutation eines der SDHx-Gene, des MAX– oder TMEM127-Gens durch Sequenz- oder Deletions-/Duplikationsanalyse. Auch der Einsatz von Panel-Untersuchungen, in denen mehrere Gene erfasst werden kann sinnvoll sein.
Differentialdiagnosen
Neurofibromatose Typ 1 (NF1)
Von-Hippel-Lindau-Syndrom
Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 (MEN2)
Carney-Trias
Carney-Stratakis-Syndrom
Klinische Präsentation
Im Vergleich zu sporadisch auftretenden Paragangliomen/Phäochromozytomen (PGL/PHEO) treten die Tumore im Rahmen einer SDHx-Mutation zu einem früheren Zeitpunkt auf, sie sind eher multifokal, bilateral und neigen zu Rezidiven oder treten als multiple synchrone Neoplasien auf. Benigne Paragangliome/Phäochromozytome sind in der Regel langsam wachsend, wohingegen maligne Tumore typischerweise aggressiver sind.
Paragangliome im Bereich der Hirnbasis und des Halses
Paragangliome in diesen Regionen sind generell mit dem parasympathischen Nervensystem assoziiert. Eine Hypersekretion von Katecholaminen besteht bei diesen Paragangliomen in der Regel nicht. Klinische Symptome werden typischerweise durch das raumfordernde Wachstum dieser Tumore verursacht, da keine Tendenz zur Metastasierung besteht.
Karotisgabeltumore:
Meist asymptomatische, größenprogrediente laterale Raumforderung
Symptome werden durch die Tumormasse verursacht: Kompression von Hirnnerven oder dem Grenzstrang mit daraus resultierenden Neuropathien
Vagale Paragangliome:
Präsentieren sich wie Karotisgabeltumoren
Zusätzliche können Symptome wie Heiserkeit, Globusgefühl, Dysphagie, Dysphonie, Schmerzen, Husten und Aspirationen auftreten
Jugulotympanische Paragangliome:
Können pulsatilen Tinnitus, Hörverlust und weitere Symptome verursachen, die durch Kompression der tief verlaufenden Hirnnerven entstehen
Paragangliome im Bereich des Thorax, Abdomens und Beckens
Paragangliome in diesen Regionen sind in der Regel mit dem sympathischen Nervensystem assoziiert. Tumoren in diesen Bereichen weisen meist eine Hypersekretion von Katecholaminen auf.
Phäochromozytome und extra-adrenale sympathische Paragangliome
Diese Art von Tumoren präsentiert sich im Rahmen eines HPP in gleicher Weise wie bei sporadischem Auftreten. Sie fallen meist durch eines der folgenden Szenarien auf:
Zeichen und Symptome, die mit einer Hypersekretion von Katecholaminen assoziiert sind, wie Hypertonie und Tachykardie, Kopfschmerzen, Palpitationen, extremes Schwitzen und Angst. Auch Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit und Gewichtsverlust können durch einen solchen Tumor ausgelöst werden.
Zeichen und Symptome, die durch das Größenwachstum der Neoplasie verursacht werden
Zufallsbefund bei MRT/CT
Screening bei Verwandten mit erhöhtem Risiko
Extra-adrenale sympathische Paragangliome haben eine erhöhte Tendenz zur malignen Entartung. Bei Phäochromozytomen ist diese Tendenz deutlich geringer.
Gastrointestinale Stromatumore (GIST)
Diese Tumore können bei Mutationen in allen SDH-Untereinheiten auftreten, am häufigsten sind sie bei SDHA-Mutationen. Meist sind sie im Magen lokalisiert und gehen aus submukösen Cajal-Zellen hervor. Als Komplikation können Magenblutungen auftreten.
Klarzelliges Nierenzellkarzinom und papilläres Schilddrüsenkarzinom
Diese Tumore sind im Rahmen von SDHB– und SDHD-Mutationen beschrieben worden.
Besonderheiten bei der Behandlung
Die Therapie von hereditären Paragangliomen und Phäochromozytomen unterscheidet sich nicht wesentlich von der sporadisch auftretender Tumoren. Empfohlen wird die Kontaktaufnahme mit der GPOH-Studie für endokrine Tumore.
Hormonproduzierende Tumoren
Pharmakologische adrenerge Blockade zur Vermeidung eines Katecholaminexzesses
Bei malignen Tumoren chirurgische Resektion
Nicht-hormonproduzierende Paragangliome der Hirnbasis und des Halses
Frühzeitige chirurgische Therapie
Karotisgabel- und vagale Paragangliome
- Chirurgische Resektion ist Therapie der Wahl. Meist ist diese vollständig möglich.
- Bei älteren Patienten oder bei multiplen Komorbiditäten kann eine operative Therapie herausgezögert werden unter regelmäßiger bildgebender Kontrolle. Auch eine Radiotherapie kann bei diesen Patienten in Erwägung gezogen werden.
Jugulotympanische Paragangliome
- Kleine Tumore können meist problemlos chirurgisch reseziert werden
- Bei größeren Tumoren können durch die chirurgische Resektion Komplikationen auftreten wie Liquorleck, Meningitis, Schlaganfall, Hörverlust und Hirnnervenlähmung.
Phäochromozytome
Chirurgische Resektion, idealerweise mittels Laparoskopie, ist die Therapie der Wahl.
Präoperativ sollte eine kombinierte medikamentöse α- und β-adrenerge Blockade durchgeführt werden.
Patienten mit SDHB-Mutation
Diese Patienten sollten nach Diagnose eines Tumors so rasch wie möglich operativ therapiert werden, da bei Tumoren im Rahmen einer SDHB-Mutation eine starke Tendenz zur Metastasierung besteht.
Empfehlungen zur Früherkennung bei Ihren Patienten
Empfehlungen zur Früherkennung
Da sich Tumore nur selten in der ersten Lebensdekade entwickeln, schlägt die American Association of Cancer Research (AACR) aktuell einen Beginn der Früherkennungsuntersuchungen im Alter von 6-8 Jahren vor. Diese Empfehlungen sind einheitlich und unabhängig von der vorliegenden genetischen Mutation.
Paragangliome / Phäochromozytome
Blutdruckkontrollen bei jeder ärztlichen Vorstellung (mindestens jährlich) ab 6-8 Jahren
Jährlich Methoxytyramin im Plasma ab 6-8 Jahren
Jährlich freie Metanephrine im Plasma (PFM) oder fraktionierte Metanephrine im 24-Stunden-Urin ab 6-8 Jahren
- wenn PFM ≥4x oberhalb des Referenzwertes: vereinbar mit PGL/PHEO, Bildgebung zur Lokalisation sollte angeschlossen werden
- wenn PFM 2x-4x oberhalb des Referenzwertes: Wiederholung der Untersuchung in 2 Monaten
- wenn PFM marginal erhöht: Wiederholung der Untersuchung in 6 Monaten (oder Clonidin-Suppressionstest, zum Ausschluss falsch positiver Werte)
Optional: jährlich Chromogranin A im Serum ab 6-8 Jahren
Alle zwei Jahre Ganzkörper-MRT (Schädelbasis bis Becken) ab 6-8 Jahren
Optional: alle zwei Jahre MRT-Hals mit/ohne Kontrastmittel
Gastrointestinale Stromatumoren (GIST)
Jährlich großes Blutbild ab 6-8 Jahren
Weitere Informationen
Offene klinische Studien / Register
Selbsthilfegruppen
Leider gibt es bislang keine uns bekannten Selbsthilfegruppen für Patienten mit Hereditärem Phäochromozytom/Paragangliom-Syndrom. Sobald uns hier neue Informationen zur Verfügung stehen, werden wir diese ergänzen.